Der Freiherr von Weissenburg

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Freiherr Johann von Weissenburg lebte auf seinem Stammschlosse am Simmenfluss in kinderloser Ehe. Er war ein grosser Wohltäter der Armen, ein frommer und biederer Mann. Seine junge schöne Frau hatte er aus Österreich in sein Land gebracht. In ihrem Herzen aber wohnte die Eitelkeit. Darum war sie nicht glücklich auf der einsamen Burg und sehnte sich nach ihrem Heimatlande zurück. Um sie zu trösten, lud der Freiherr einen adeligen Gespielen seiner Gemahlin auf sein Schloss ein mit Namen Friedrich. Der Ritter erwies dem jungen Edelmanne alle Pflichten der Gastfreundschaft in reichem Masse. Zum Danke hinterging ihn dieser, indem er sich in den Netzen der treulosen jungen Herrin fangen liess. Ja, sie vermochte den Galan selbst zu betören, ihren Gatten zu töten damit sie dann ungestraft ihrer sündlichen Liebe leben könnten. Als die beiden Edlen, Wirt und Gast, eines Tages zur gemeinsamen Jagd ausritten, erstach der Junker den Ritter meuchlings. Kaum war diese blutige Tat geschehen, erfassten den Mörder die furchtbarsten Qualen des Gewissens und wie ihm die Freifrau darauf den güldenen Reifen an den Finger stecken wollte, schleuderte er denselben weit von sich in den Burggraben, schwang sich auf sein Ross und verfluchte fliehend die treulose Anstifterin des schändlichen Verbrechens.

Der Freiherr hatte vor seinem Tode mit den Talleuten in bestem Einvernehmen gelebt. Als man nun sein Vermächtnis öffnete, erfand es sich, dass er, der schon längst die Hinterlist seines Weibes durchschaut, sein Gut den Armen befohlen hatte Hundert weisse Kühe und eine Allmend für 1400 Kühe sollten die Dürftigen erhalten. Allein die Reichen machten nun gleichfalls ihr Anrecht an der Schenkung geltend. Also fiel den Armen nur wenig zu. Seit jener Zeit sieht man des Nachts einen Geist auf den Weiden herumgehen, der dem Vieh aus einer Lecktasche zu lecken gibt. Leckt das Vieh der Reichen Salz aus seiner Hand, so wird es mager und verendet, leckt aber das Vieh der Armen, so wird dasselbe fett, gedeiht und jede Krankheit bleibt ihm fern. So rächt der alte Freiherr das Unrecht, welches die Armen durch den Geiz der Reichen erlitten haben.

Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910. 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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