Auf Stalden, einer Höhe im bernischen Saanenland, lebte vor uralten Zeiten ein Küher. Weder für ihn, noch für seine Freunde gab es etwas Rechtes, Gutes oder Heiliges, und über alles meinten sie spotten zu müssen. Einmal hatten sie zur Vesper Rahm und Weichkäse. Als sie sich satt gegessen hatten und nichts mehr mochten, nahm einer von ihnen den Rest Käse und gestaltete daraus ein Männlein mit Kopf, Händen und Füssen. Mit dieser Gestalt trieben sie nun ihren Mutwillen. Da fällt dem Küher ein, er wolle das Männchen aushöhlen, dann giesst er ihm heisse Käsmilch ein und ruft: " So, jetzt bist warm, lauf du Ungeheurer." Dazu lachte er aus vollem Halse. Wie erstaunte er aber mit seinen Gesellen, als das Männchen plötzlich zu wackeln begann, vom Tische sprang und zur Türe hinaus ins Freie eilte. Vor Schrecken wurden sie weiss wie der Tod und fingen an, an allen Gliedern zu schlottern. Doch die Sache konnte nicht mehr ungeschehen gemacht werden.
Von dieser Zeit an aber hatten die Gesellen keine ruhige Stunde mehr. Das Britschenmännchen wurde ein schreckliches Ungeheuer, das alle Nächte erschien, um sie zu plagen, ihnen das Vieh über die Felsschöpfe hinausjagte, und in den jungen Käse etwas schüttete, dass er sich zu blähen begann und verdarb. So wurde das Leben auf Stalden eine Unmöglichkeit. Kein Mensch wusste zu helfen und es war ganz natürlich, dass sich niemand mehr getraute auf jener Alp das Vieh zu sommern. Da kam einmal ein gescheiter Doktor ins Land. Der hiess den vertriebenen Sennen ein Stierkalb aufziehen und ihm sechs Jahre lang nichts als ganze Vollmilch zu geben. Dann solle er das Tier auf den Stalden treiben, aber bei Leib und Leben nicht weiter mit ihm gehen als bis zum Unterstafel, der Stier werde seinen Weg dann schon weiter finden. Der Senn tat, was ihm geheissen. Nach sechs Jahren brachte er das mächtige Tier zum Vorstafel des Staldens. Dasselbe lief nun schnurstracks zur Alp hinauf und der Senn schaute von ferne mit Bangen zu. Noch Jahre hernach, wenn er davon erzählte, überkam ihn ein Grausen.
Kaum war der Stier bei der Hütte angelangt, schoss das Ungeheuer auf ihn los. Es begann ein heftiger Streit, ein Brüllen und Toben, dass es weithin wie Lawinendonner hallte. Der Kampf währte so lange, bis beide, Stier und Britschen-Mandli über die Felsen stürzten und in der Tiefe zerschellten. Fortan war der Stalden wieder eine gesegnete Alp, denn niemand wagte es mehr, mit Heiligem sein Gespött zu treiben.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.