Auf einer Alp im Oberhasli wurden vor Zeiten den Sennen Kühe getötet, und zwar immer diejenigen, welche am reichlichsten Milch gaben oder die schönsten waren.
Mancher Älpler, der nicht von der Alp ziehen wollte, in der Meinung, es werde besser kommen, oder es könne endlich dem Unwesen ein Ende gemacht werden, verlor zuletzt all sein Vieh. Endlich kam es doch so weit, dass niemand mehr den Berg bewohnen wollte. Von nun an sah man öfters eine Kuh, die im saftigen Grase weidete. Wenn sie erschien, war eine Stimme zu hören: "Wer diese Kuh in einer Stunde fertig melkt und eine Nacht in der Hütte bleibt, erlöst die Alp."
Mancher wackere Jüngling ging hinauf, das Wagestück zu versuchen, kehrte aber nie wieder in das Tal zurück. Endlich ging ein beherzter Älpler von einem anderen Berg hinauf. Er traf die Kuh im Stall der Sennhütte an und unternahm sein Werk. Ganze Melchtern voll Milch entzog er ihrem Euter; aber als sein Werk dem Vollbringen nahe schien, kam mit fürchterlichem Gepolter ein schwarzer Mann zu ihm in den Stall, der ihn auf mancherlei Art in seiner Arbeit zu stören trachtete. Der Hirt jedoch achtete
sich des unheimlichen Gesellen nicht stand ihm auch nicht Rede und Antwort. Darum war er in einer Stunde mit dem Melken zu Ende. Doch jetzt folgte ihm der schwarze Mann auf Schritt und Tritt, wo immer er sich auch hinwandte. Selbst in sein Bett begleitete er ihn und legte sich mit seinen eiskalten Gliedern neben den Hirten. Um Mitternacht aber stand er auf, ging in die Küche und grub mit einem Pickel ein Loch in die Erde. "Komm hilf jetzt!" herrschte er den unerschrockenen Sennen an. "Komm’ hilf da!" Der Hirt zeigte nicht grosse Lust in mitternächtlicher Stunde dem Befehl nachzukommen und blieb auf seinem Strohsack liegen. Bald erschien der Schwarze noch einmal unter der Gadentür und hielt ängstlich an, dass jener doch komme, ihm zu helfen. "Nur noch einmal rufe ich dir" sprach er "kommst du das dritte Mal nicht, dann sieh zu, wie es dir ergeht."
Wirklich folgte ihm der Älpler auf den dritten Ruf in die Küche. Dort stand ein grosser Kessel abgedeckt, der bis zum Rande mit Silber und Gold angefüllt war. Sie zogen denselben heraus und der mitternächtliche Gast sonderte das Geld in drei Haufen. "Du hast dich wacker gehalten", sprach er. "Die Alp ist erlöst. Dieser Haufen hier ist darum dein eigen; der mittlere da gehört dem Eigentümer der Alp, und jenen dort gib denjenigen, welche auf diesem Berge um Hab und Gut gekommen sind." Nachdem er so gesprochen, verschwand er und ist seither nicht wieder gesehen worden.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.