Im Berner Oberland, auf dem bewaldeten Bergzug zwischen dem obern Simmental und dem Diemtigental, liegt eine schöne, grasreiche Alp, die von den Sennen der Gemeinde Zweisimmen befahren wird; man heisst sie die Gestelenalp. Zur Sommerszeit, wenn ringsum alle Alpen mit Vieh besetzt sind und das Geläute der Herden gar freundlich durch die Berge hallt, kommen hier alle Jahre einmal an einem Sonntag die Älpler der ganzen Gegend zusammen zu einem sogenannten Dorfet. Von Mannried und Grubenwald, von Schwanden, Zwischenflüh und Diemtigen steigen sie hinauf zum fröhlichen Bergfest, und die jungen Sennerinnen dürfen auch nicht fehlen. Da geht`s dann lustig und hoch her. Auf der Höhe der Alp, dem Gestelengrat, der die Wasserscheide und zugleich die Grenze zwischen den beiden Tälern bildet, wird gemeinsam getrunken, gesungen, geschossen, Kegel gespielt und auf dem grünen Rasen getanzt. In früheren Jahren wurde auch um die Wette geschwungen, und die Burschen derjenigen Talschaft, welche unterlag, hatten nachher die Zeche zu bezahlen.
In einiger Entfernung von diesem Spielplatz befindet sich nun ein einzeln stehender Felsen von der Form eines Würfels, der nach allen Richtungen gegen zwei Meter misst. Mitten in seiner obersten, ebenen Fläche sind zwei Vertiefungen, die vollständig menschlichen Fussstapfen gleichsehen, gerade als wäre der Stein weich gewesen und jemand wäre nackten Fusses darauf getreten. Deutlich lassen sich selbst die Zehen unterscheiden. Dieser Stein heisst der Teufelstritt, und man erzählt sich von ihm folgende Sage:
Eines Morgens, es war eben wieder Dorfsonntag, wanderte eine schöne, reiche Sennerin mit stolzen Schritten den Berg hinan, um das Älplerfest auf dem Gestelengrat zu besuchen. Selbstgefällig betrachtete sie einmal über das andere ihren schmucken Sonntagsstaat, die Blumen und die flatternden Bänder und dachte bei sich selbst: "Heute bin ich gewiss von allen Tänzerinnen die schönste und gefeiertste." Und um dies wirklich zu sein, verschwor sie sich feierlich und gelobte, des Teufels sein zu wollen, wenn sie nicht den ersten Tanz tun und den Reigen anführen könne. So kam sie hinauf auf die Alp. Hier hatten sich, da es ein herrlicher, sonniger Tag war, schon eine grosse Zahl von Älplern und Älplerinnen eingefunden, und es kamen ihrer immer mehr. Endlich stimmten die Spielleute zur Eröffnung des Tanzes einen muntern Ländler an. Alles erhob sich und jeder suchte sich seine Tänzerin. Aber wie sehnsüchtig jene Schöne auch ihre Blicke schweifen liess, es wollte keiner kommen, sie aufzufordern. Lustig flog das junge Volk im hüpfenden Ringeltanze über die Wiese daher, sie aber musste einsam stehen bleiben. Kaum waren jedoch die letzten Töne der Musik verklungen, als auch schon der Teufel dastand, sie unter grinsendem Hohngelächter um den Leib fasste, mit ihr forteilte, sie auf den beschriebenen Felsblock stellte und verschwand. Da stand sie nun festgebannt und konnte sich nicht von der Stelle bewegen. Statt, wie sie sich in ihrem hochmütigen Sinne vorgenommen hatte, die Erste beim Tanze zu sein, kam sie nun gar nicht dazu und hatte nur aus der Ferne das Zusehen. Was weiterhin aus ihr geworden ist, weiss niemand zu sagen. Das Andenken an ihren frevelhaften Übermut aber bleibt verewigt im Teufelstritt.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.