Hoch oben auf den Alpen von Isenfluh, einem sehr entlegenen, über einem von der Lütschine aufsteigenden Felsen wie angeklebten Dörflein, wohnte ein Schneider, der hatte viele Kinder, war ein braver, treuer Hausvater, hatte aber grosse Mühe, sich und seine Familie mit seiner Arbeit durchzubringen. Tag und Nacht schaffte er, auch fehlte es ihm nicht an Arbeit. Hie und da, wenn er etwas sehr Dringendes zu tun hatte und fast nicht fertig werden mochte zur rechten Zeit, fiel ihm auf, dass, wenn er des Morgens in der Frühe aufstand, um sie zu beendigen, die Kleider schon fix und fertig genäht, gebügelt und gebürstet auf dem Tische lagen. Es war ihm unbegreiflich, wie das zugehe, und als er wieder einmal in Bedrängnis war mit seiner Arbeit, nahm er sich vor, aufzupassen, ob jemand komme und sie für ihn mache. Siehe, da bemerkte er mitten in der Nacht, wie ein paar kleine Männlein hereinschlichen, sich auf den Tisch setzten und mit flinken und gewandten Stichen ein Kleid ums andere nähten, wie sie das Bügeleisen warm machten, wie sie plätteten und putzten und zusammenlegten, bis alles in Ordnung war und wie sie dann mit vergnügten Gesichtern ganz leise wieder hinaushuschten. Der gute Schneider hatte eine unendliche Freude darüber und sann darauf, wie er sich ihnen dankbar erweisen konnte. Als Schneider hatte er sich ihren Anzug wohl angesehen und bemerkt, dass die Männlein alle ärmlich gekleidet waren. Wie er nun Zeit hatte, machte er eine Anzahl kleiner, winziger Kleidchen, wie er dachte, dass sie für die Zwerglein passen würden, und legte sie ihnen in der Nacht bereit zum Geschenk für ihre heimlichen Dienstleistungen. Sie kamen auch in der Tat wieder, aber wie sie die Kleider sahen wussten sie, dass sie bemerkt waren, und das beleidigte sie. Sie liessen die Arbeit unberührt liegen und kamen nachher nie wieder.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.