Links an der Strasse, die von Zweisimmen nach dem Gesundbrunnen von Lenk führt, liegt das Dorf Bettelried. Hier lebte einst ein Ziegenhirt, der das kleine Hornvieh des ganzen Dorfes zur Weide treiben musste. Bis in die höchsten und gefährlichsten Flühe musste er Tag um Tag mit seinen Kletterern ziehen. Dafür war abends oft nur ein spärliches Stücklein Brot sein Lohn. Als der Geissbub nun eines Tages zwischen Miesch- und Brun- nenfluh auf dem Heueggli sass, kam ein Zwerg daher, setzte sich neben ihn und gab ihm im Verlauf des Gespräches ein ganz kleines Gemskäslein, indem es sagte:
"Iss alltag, iss gnug -
Iss nie auf, sonst bist unklug."
Damit verschwand das Männlein hinter einer Felswand. Eine Weile hatte die Not des Hirtenknaben ein Ende. Ob er nun drunten im Tal viel oder wenig erhielt, immer kam ihm das wunderbare Gemskäslein zustatten. Ass er es auch abends bis auf den kleinsten Rest, am nächsten Morgen fand er’s in seiner Tasche, stets wieder voll und rund. Jahrelang befolgte der Geisshirt den Rat des Zwergleins, bis er eines Tags aus übermässigem Hunger auch den letzten Rest des Käsleins verzehrte. Wie erschrak er aber, als er des andern Morgens seine Tasche leer fand. Die bittere Reue war umsonst, es war nichts übrig geblieben, das nachwachsen konnte.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.