Wenn die Alpen unter der Last des Winterschnees begraben liegen, Menschen und Vieh zu Tal gezogen sind und in den zugeschneiten Hütten die Männer beim flackernden Kienspan Holzwaren schnitzeln und die Weiber an der altmodischen Spindel zupfen, beginnt die Herrschaft der Berggeister. Dann steigen sie aus ihren Sommerpalästen, den unzugänglichen Höhen des Finsteraarhorns, der Jungfrau und ihrer Nachbarn, tiefer herab in die niederen Gegenden, sammeln sich in den Schlünden und Tobeln der Felsen, scherzen mit der Wut der Elemente, heulen grausame Zaubergesänge, zu welchen der Sturm die Begleitung pfeift. Oft stellen sie sich auf die vereisten Firsten und fordern einander höhnend heraus, necken sich in lächerlichen Entgegnungen und werfen einander Schneelasten, ungeheure Lawinen zu. Da sie alles hassen, was Leben zeigt, üben sie auch gern und häufig die Jagd. Mit lautem Halloh jagen sie dann pfeifend, klappernd und rasselnd hinter den schönen Gemsen drein. Ihr grösster Hass trifft aber die Menschen. Wehe daher dem Wanderer, der zu solcher Zeit sich in ihren Bereich wagt oder dem Jäger, der ihr Revier durchstreift, dem Strahler, der ihre Wohnungen, das Bergesinnere, ihres schönsten Schmuckes, der Strahlen oder Kristalle zu berauben trachtet. Ihnen allen droht der sichere Tod.
Quelle: Hermann Hartmann, Sagen aus dem Berner Oberland. Nach schriftlichen und mündlichen Quellen, Interlaken 1910.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.