Die grosse Weide oben bei Muri im Freienamte war vordem noch von Sennen bewirtschaftet. Oft, wenn sie ihr Vieh am Morgen füttern wollten, fanden sie alles schon gethan; der Stall war geputzt, der Milchkübel geschwenkt, Richter und Trichter wieder an dem Platz, kurz alles in Ordnung gebracht und schon wieder für den Abend gerüstet. Natürlich suchten sie den unbekannten Helfershelfer kennen zu lernen und lauerten und passten an allen Zugängen. Es dauerte auch nicht lange, so sahen sie ein Männchen, winzig klein, in die Scheune gehen; dorten kroch es durch's Futterloch in den Viehstall und wenn es drinnen sein Geschäft in aller Stille abgemacht hatte, so nahm es behende denselben Rückweg und war wieder verschwunden. Die Sennen waren nicht wenig darüber erfreut, und da ihnen eine gewisse Empfindung von Ehrfurcht sagte, dass man ihm nicht mündlich danken dürfe, so liessen sie ein niedliches Sennenkleid machen und legten es dem Kleinen in den Stall. Beim nächsten Erscheinen nimmt der Zwerg das neue Sennenhemde vom Bänklein herunter, setzt das Lederkäppchen zurecht und probiert es her und hin; dann beschaut er sich im hingestellten Spiegelein, und stolz auf seine neue Montur ruft er ein- übers andremal, nun mag ich nicht mehr Senn sein!
Seit diesem Vorfall war er in Muri nicht mehr zu finden, sondern verdingte sich im Dorfe Buttwil. Da sagte einmal der Bauer dorten zur Frau: Alle Arbeit in Stall und Scheune ist stets vor Tag schon gethan; das Heu nimmt nicht ab, meine Kühe geben die beste Milch und werfen die feistesten Kälber. Wir müssen doch selbst einmal achtgeben, wie das hergeht; wir wollen uns diese Nacht im Scheunenloch verstecken, wo wir selber ungesehen alles übersehen können. So thaten sie. Bald hörte man ein Rascheln und Rauschen über den Heustock droben herunter, dann trippelte es wie im Schritt eines Kindes, und gleich sprang ein winziges Männchen an dem Steighaken herab, schüttelte sich das Heu aus den Haaren, und stand nun mitten in der Tenne da, aber oweh, splitterfasernackt. Nun fieng's an, Heu zu rupfen, dann striegelte es das Vieh, und das alles gieng so nett und blitzgeschwinde, dass das Männchen im Augenblick fertig und schon wieder verschwunden war. Da ergriff die Bäuerin ein herzliches Bedauern, denn es war ein harter Winter und gerade ums Neujahr. Wir wollen ihm doch Hosen und Wamms machen lassen, sagte sie. Es geschieht, und am Neujahrstag wird das fertige Gewand dem Männchen auf den Heuboden gelegt. Neugekleidet spaziert es sogleich in der Tenne auf und ab, wirft sich in die Brust und ruft gravitätisch: Und ein solcher Mann soll hirten gehen! Damit war es von nun an auch in Buttwil verschwunden.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 286
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch