Von dem Rheinufer beim Aargauer Dorfe Koblenz hinweg bis hinab gegen das badische Städtchen Waldshut läuft auf der linken Flussseite eine mit Nadelholz bewaldete Anhöhe, die neu gebaute Rheinstrasse zieht an ihrem Fusse hin. Dies ist die Fullhalde. Hier haben Zwerge gewohnt. Ihre Gestalt mass nicht zwei Fuss, ein paar hellleuchtende Augen steckten in den kleinen schwarzhaarigen Köpfen. Sie giengen stets barhaupt und barfuss, ein blaues Hemde mit einem schwarzen Gurt zusammengehalten war ihr einziges Kleid.
Im Benehmen mit den Landleuten waren sie besonders friedfertig und zuvorkommend, und wenn die Bauern aus dem Dörfchen Full sich recht müd im Felde gearbeitet hatten, kamen des Abends noch die kleinen Leute zu ihnen her und brachten ihnen Brod und Kuchen zur Erquickung. Fragte man dabei ihrem Herkommen oder ihrem Wohnorte nach, so deuteten sie nur auf ihre Höhle in der Fullhalde hin, denn reden mochten sie nicht, auch giengen sie niemals mit ins Dorf herein.
So brachten sie einst ihren Kuchen auch einem jungen Bauern an den Pflug hin. Dem war das Stück allzugross, um es auf einmal hinzunehmen, er suchte deswegen in der Tasche nach seinem Messer herum, ohne es jedoch finden zu können. Da zog der Zwerg sein silbernes hervor und gab es ihm. Der Bauer zerschnitt damit den Kuchen, anstatt es aber gebürlich abzuwischen und rein zurückzugeben, steckte er es mit aufgelegter Bosheit ohne weiteres in einen daliegenden Kuhfladen. Einmal Beschmutztes rührt kein Geist mehr an; also verblieb das silberne Messer dem habsüchtigen Bauernburschen. So war's seine Absicht. Darüber erzürnte der Zwerg und klagte bitter auf das sündhafte junge Geschlecht. Als seine Gefährten sein Jammern hörten, verschwuren sie's, je wieder an das Tageslicht zu kommen. Sie eilten zusammen querfeldein dem Walde zu und schlüpften in ihre Höhle hinab; im gleichen Augenblicke aber wurde ein so furchtbarer Knall in der Gegend gehört, als ob der ganze Berg zerborsten wäre. Seitdem sind sie hier verschwunden; nur ihre Höhle ist zu sehen, aus der manchmal noch Rauch aufsteigt.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch