Sommers findet man in blühenden Kleefeldern manchmal ein feinlockiges engelschönes Kind auf schneeweissen Windeln bloss daliegen. Will man's aufnehmen, so wird's immer schwerer, und gerade während man sich darum ängstiget, es ja nicht aus der Hand fallen zu lassen, ist es auch plötzlich verschwunden. Die Meinungen darüber sind verschieden. Man glaubt, es künde den Tod dessen voraus, der ein solches Kind erblickt; oder man deutet es auch auf einen besonders fruchtbaren Jahrgang. Man hält es aber überhaupt für ein Kind, das den Erdmännchen selber gehört, oder das sie den Menschen gestohlen haben. Denn Chrügeli nent der Aargauer ein kleines gesundes Kind, und Chrügelnägeli heisst man auch jene verdächtigen Felslöcher im Jura, deren innere Beschaffenheit nicht recht ausgemacht ist. So liegt auf der hohen Gislifluh bei Aarau ein solches Chrügelnägeli, ein steiler und enger Durchschlupf im Bergkamm, und gleich in der Nähe ist die Zwerlimatte.
Hauswirth hiess der Junge, der bei einem Handwerker im Dorfe Frick in der Lehre stand und einmal ausgeschickt worden war, im Walde Leseholz zu suchen. Als er oben auf dem sogenannten Seckenerberge ausruhte, der gegen das Dorf Eiken zu liegt, hörte er jenseits des Waldgrabens, an dem er sass, die Stimme eines Wickelkindes. Hauswirth hatte daheim schon genug Schläge darüber bekommen, dass er des Meisters Kinder nicht fleissig hüten mochte, und kümmerte sich jetzt um dieses noch weniger, das da so unvermuthet schrie. Als er aber endlich aufstand und heim wollte, sah er wirklich ein so hübsches Kind drüben am Graben liegen, dass es ihm augenblicklich das Herz bewegte. Er wollte es aufnehmen, hatte aber eine ganz unbeschreibliche Mühe, es nur umfassen zu können. Zuletzt war es gar verschwunden und er stand allein am Graben. Grosser Schreck ergriff ihn. Er wurde von der Zeit an daheim immer stiller und starb jung.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch