Die Erdleute bei Oberhof

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Hinter der Rams- und Wasserfluh liegen im Fricktaler-Jura zwei zierlich aufstrebende waldige Berggipfel, die beiden Strîchen; nach ihren zwei zunächst gelegenen Dörfern unterscheidet man sie in in den Asper- und den Oberhofner-Strîchen. An den letzten, dessen Höhe 2872 Fuss beträgt, knüpft sich folgende Erzählung, die aus dem Munde eines dort wohnenden Bauern stammt.

Zwei Schnittermädchen waren in der Ernte zusammen in den Oberhofner-Feldern. Plötzlich schrie das eine: Ursi (Ursula), schau diese mächtig grosse Kröte! soll ich ihr eins mit der Sichel geben? Nein, Bürgi (Walburg), rief die andere Schnitterin, bei Leib nicht! Schau nur diese Dicke und Gedunsenheit; merkst du doch selbst, wie es mit dem Wust da steht, er wird uns zu Gevatter bitten wollen. Inzwischen schien die Kröte weggekrochen zu sein und die beiden Mädchen schnitten weiter. Als sie abends heimkamen und davon erzählten, meinte die Mutter: Ursi, da hast du wieder einmal dein Maul gebraucht und weisst nicht, gegen wen. Hüte dich, es setzt leicht Böses ab; denn schon oft hab ich gehört, auch der Teufel könne sich in Kröten verwandeln.

Diese Warnung war indess schon zu spät gekommen. Noch in derselben Nacht, als beide Mädchen ruhig schliefen, klopfte es an ihr Fenster, und eine Stimme sprach: Ursi, denk an dein gestriges Versprechen, steh auf und komm schnell mit! Ursula hatte auf den ersten Ruf noch geantwortet und war nach der Türe gegangen in der Meinung, ihr Liebhaber aus dem Dorfe warte drunten. Als sie aber sich an ihr gegebenes Wort mahnen und vom Fortgehen hörte, erschrak sie überaus, doch in Angst und Ratlosigkeit öffnete sie. Hier stand ein Erdmännchen und bat sie dringend, mit ihm zu gehen. Das Mädchen folgte ihm. Die ganze Gegend, durch welche sie nun kamen, war ihr wohlbekannt. Am Strîchen aber stiegen sie in eine Tiefe hinunter, die Ursi vorher noch nie bemerkt gehabt hatte, und hier öffnete sich ein unterirdischer Gang. Da hindurch mussten sie. Zuletzt gelangten sie auf eine weite helle Wiesen-Ebene, auf der eine ganze Menge überaus zierlicher Häuser stand.

Ein jedes schien ganz aus Glas, denn von einer Hauswand zur andern war alles durchsichtig, und die Lichtlein, die drinnen brannten, leuchteten selbst durch das Dach heraus. In ein solches Häuschen führte sie der Begleiter. Hier lag ein sehr blasses Erdweibchen im Bett und hatte neben sich ein neugeborenes Kind. Dieses gab man dem Bauernmädchen auf den Arm und sie musste es einem langen Zuge von lauter Erdmännchen voran auf der Stelle aus dem Hause tragen. Statt auf den Arm nahm sie das daumengrosse Kindlein in die hohle Hand. Ihr früherer Führer wies sie in eine eben so glänzend erhellte Kristallkirche hinein, um hier Kindstaufe zu halten. Sie weigerte sich nicht und verrichtete nach katholischem Brauche die Nottaufe an dem Zwergenkinde. Nachdem alles beendigt und das Kleine wieder zur Wöchnerin zurückgebracht war, zog diese fünf Strohhalme aus ihrem Strohsacke heraus, und bot sie ihrer neuen Gevatterin zum Andenken; für die Schwester Bürgi jedoch übergab sie ihr zugleich einen kostbaren Gürtel. Dieser Gürtel, sagte sie, gehört für deine Schwester; aber dass ja niemals weder sie noch ein anderes ihn umgürtet, bis ich es Euch einmal werde wissen lassen!

Bald war Ursula wieder von dem Bergmännchen durch den unterirdischen Gang zurückgeführt. So wie sie unter den freien Himmel gekommen waren, zeigte er ihr auf den Birnbaum hinunter, der die Grenze ihres väterlichen Gutes ausmachte, und den sie im vollen Mondschein wohl erkannte, dann verliess sie der Kleine. Als sie ihrer Befangenheit los geworden, fing sie an über das elende Geschenk zu zürnen, das man ihr bestimmt hatte, und warf sogleich viere von ihren fünf Strohhalmen aus dem Jüppensack. Aber da sie nun zum Birnbaum kam, fiel es ihr plötzlich ein, gleich hier jene besondere Wirkung des Gürtels zu erproben, den man ihr für die Schwester und unter der seltsamen Weisung mitgegeben hatte, ihn ja niemals vor der erhaltenen Erlaubniss zu tragen. Kaum hatte sie nun den Gürtel um den Stamm gespannt, so zerspaltete der ganze Birnbaum in tausend Splitter und war augenblicklich zu einem Häufchen blosser Asche zusammengesunken. Tief erschüttert dachte jetzt das gute Mädchen an die Schwester, und wie es dieser hätte ergehen müssen, wenn ihr das verwünschte Zaubergeschenk jemals zugekommen wäre. Eilig rannte sie davon, um daheim die überstandene Gefahr zu erzählen. Aber zu Hause wollte nun niemand, nicht einmal Bürgi ihr glauben. Vergebens berief sie sich auf den Gürtel; dieser war ja mit dem eingeäscherten Birnbaum verschwunden, und ihre paar elenden Strohhalme hatte sie auch schon weggeworfen. Jetzt suchte sie nach dem letzten übrigen im Sacke und zog vor aller Augen statt seiner einen goldnen Schautaler heraus. So wie der Tag anbrach, suchte man am ganzen Strîchen nach den vier andern Halmen; weder sie, noch Goldtaler, noch den Gürtel fand man mehr.

Das letzte Überbleibsel der Zwergenwirtschaft in dieser Gegend ist das Heidenbrünnlein, ein hübscher Bergquell, von dem es heisst, er laufe alle Freitage trübe. Eine benachbarte Quelle an der Bergstrasse der Staffel-Egg ist von allen Wanderern besucht, und heisst das Schellenbrünneli. Obige Sage wird auch vom Schümberge, dem höchsten des Fricktaler Jura erzählt; der erwähnte Birnbaum steht dorten auf der Lenzimatte bei Wölfliswil.

Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

 

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