Im leisen Vernachten eines Sommersonntages gingen zwei Brienzer, vom Faulhorn her kommend, am Sägistalsee vorbei, den Alphütten zu, wo sie zu übernachten gedachten. Am See sahen sie von weitem eine grosse, wohlgebaute Frau stehen, die unverwandt auf die vom Winde leicht gekräuselte Wasserfläche hinausblickte. Die beiden Mannen machten sich weiter nichts aus dem Gesehenen. Als sie zu den Hütten kamen und bei einem bekannten Älpler im Chucheli vorsprachen, wollten sie diesen foppen, „die Älpler, gäben es geschwollen, sie hätten sogar Weibervolch um den Weg“.
Der Älpler redete das aber aus, „es sei doch gewiss kein Bein dieser Art da, er selber wenigstens wüsste nichts davon. Wo sie denn solches etwa gesehen hätten?“
„He,“ rückte dann einer der Brienzer mit der Sprache heraus, „dort, am Seeli ist vorhin einmal eine gestanden, und dem Anschein nach nicht eine von den Leidsten.“
„Soo?“ machte der Älpler daraufhin schier erschrocken, „das hat jetzt grad gefehlt, dass die sich zeigt. Jetzt können wir unser Pünteli packen. Eh drei Tage um sind, wird hier oben der Winter guxen wie drunten im tiefsten Jänner, beim Sackerli wird’s das!“
Und er behielt Recht. Bereits am Tage darauf kündete sich der Gux mit einem anderen Winde an. In der Eile wurde die Alp entladen, und bald lag sie unter einer hohen Schneedecke begraben und verödet.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch