Ein leidenschaftlicher Iseltwalder Gemsjäger, Peetsch ab Egglen, war einst an einem Spätherbsttag an Tschingelfeld den Grattieren nachgeschlichen, ohne bis zum Abend zu gutem Schuss zu kommen. In der Absicht, am nächsten Tag das Glück aufs neue zu versuchen, nahm er sich vor, in einer Hütte im Bödeli zu übernachten, legte im Chucheli das Gewehr auf die Turnerbank, machte auf einem Feuer Warmes zum Znacht und streckte sich nachher müde auf der Gastere ins Bergheu. Durch einen Schlitz im Dach schienen die Sterne, herauf rauschten der Giessbach und der Fangisalpbach, lauter und leiser, je nachdem der Bergwind ging, der ab und zu auch in den Schindeln sirrte.
Wie Peetsch so dalag, für den morgigen Tag kalendernd, hörte er plötzlich weit droben von der Fangisalp her rufen, chetten und gloggnen exakt wie eine grosse Viehzüglete, wenn im Frühsommer die Alpen bestossen werden. Die Züglete kam näher und näher, ja, es machte gattig, als ob sie ausgerechnet auf die Hütte zusteuerte. Peetsch gragelte einmal ins Chucheli, nahm das Gewehr an sich und legte es auf der Gastere an seine rechte Seite.
Wirklich, kaum dass er wieder oben war, trieben ein fremder Küher in den besten Jahren und ein Bub die Züglete schon in den Schopf, brachten Schiff und Geschirr in die Hütte, machten ein Feuer, molken und fingen regelrecht zu käsen an, als ob sie in der Hütte von jeher heimisch gewesen wären.
Wie Peetsch vom Glieger herunter den Hantierungen der Beiden zusah, lief es ihm schier kalt über den Rücken. Um sich nicht zu verraten, wagte er fast nicht den Atem zu ziehen. Er feckte sich umsonst. Als die Käsmilch im Kessi dampfte, hörte er den Buben zum Küher sagen: „Vater, wollen wir dem da oben auch Milch geben?“ Worauf der Küher antwortete: „Wie es dir gefällt, Bub. Rufe ihn her!“ Im Handumdrehen erschien da der Bub in der Heitri vor der Gastere und hiess den Jäger hinunterkommen.
Das war Pech, schwärzestes Pech! Schweren Herzens nur gehorchte Peetsch. Auf dem Turnbänklein in sich zusammengesunken, wartete er bleich und schweigend der Dinge. Aus dem Kessi schöpfte der Küher Milch in einen Gohn, reckte einen hölzernen Löffel aus der Riegle, beides reichte ihm der Junge hin. Im Augenblicke aber, da er den Löffel an den Mund setzte, stiess der Bub sein Messer wie ein rässer Fitz an Peetsches linker Seite in die Wand. Der Stich schien in Fleisch und Blut zu gehen. Die Lippen verkniffen, legte der Jäger Gohn und Löffel neben sich auf die Bank, stand wortlos auf und kletterte unter grossen Schmerzen in der halbwegs lahmen Seite auf die Gastere zurück. Über eine Weile, da sie mit Käsen fertig geworden, packten auch die Küher ihr Geschirr wieder zusammen, räumten die Hütte, und den gleichen Weg, den sie gekommen, hallte ihr Rufen und das Läuten der Glocken fern und ferner, bis es ganz verstummte.
Für den Rest der Nacht fand Peetsch keinen Schlaf. Das wunderliche Erlebnis und stechender Schmerz liessen ihn nicht mehr zur Ruhe kommen. Noch vor Tagesanbruch erhob er sich, hängte das Gewehr um und trat, krank an Leib und Seele, den Heimweg an. Über die geisterhafte Sennerei und die Ursache seines Leidens aber schwieg er sich vor allen Leuten beharrlich aus.
Zu Hause trotzte die Wehtat aller ärztlichen Kunst und den fürnehmsten Salben. Der einst stattliche Jägersmann verlor im Laufe der Wochen zusehends an Gestalt und Körperkräften, verfiel vorzeitigem Alter und trüben Gedanken. Im Dorfe ging bald der Bericht, Peetsch ab Egglen werde den Kuckuck nimmer rufen hören. Bevor es aber soweit war, kam eines Tages der Schwander Hänsli Stähli zu dem Kranken auf Besuch. Als ehemalige Jagdgenossen hatten sie einander manch Grattier vor den Lauf getrieben, nun galt es wohl ein letztes Wiedersehen. Doch nein. Das Hänsli hatte eine feine Nase, die gleich witterte, wo es dem Freunde fehlte; er drängte und ergab sich nicht, bis Peetsch ihm den Hergang seiner Leidensgeschichte haargenau erzählt hatte, dann zuckte ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht. Dem Freunde konnte Hilfe werden. Also sagte er:
„Du bist dem Vollenküher unter Händs geraten. Wenn du noch magst, tu was ich dir rate. Geh an Tschingelfeld, wenn der Tag sich wieder jährt und bleibe in der gleichen Hütte über Nacht. Der gleiche Spuk wird wieder kommen. Wenn du sie hörst, geh vom Feuer weg und setz dich auf die Turnbank. Wie das erste Mal, will dir der Junge Milch anbieten, die nimm aber ums Sterben nicht, steh vielmehr auf und sag ein „Vergelt‘s euch Gott!“ Dann wird das Feuer erlöschen, und du nimmst nichts mehr wahr als ein klägliches Gewinsel, obwohl die Beiden noch in der Hütte sind. Im Schwick nimm Flinte und Esssack und verlasse die Hütte und die Alp so tifig es dir geht so wirst du deiner Leiden los und ledig.“ Peetsch versprach das Möglichste zu tun. In der Morgenfrühe des besagten Tages hatte er die Lebensgeister soweit beisammen, dass er den langen Weg nach dem Tschingelfeldbödeli glaubte bewältigen zu können.
In der Nacht verlief der Spuk am Schnürli, wie der Schwander vorausgesagt. Der Wehtat und des trüben Sinnes ledig, kam er ins Dorf zurück und erfreute sich noch viele Jahre einer guten Gesundheit. - Die Jagd aber gab Peetsch ab Egglen für immer auf.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch