Es muss viele Hundert Jahre her sein, da lebte in Brienz ein schönes Mädchen, dem als alleiniger Erbin eines reichen Vaters die Alp Tschingelfeld, sowie das Berggut die „Brau“ auf dem Aenderberg und die grossen Güter Winkelmatten im Aarboden gehörten. Um das Mädchen warb ein ebenso reicher Bauernsohn aus der Herrschaftsgemeinde Ringgenberg am untern Ende des Sees, und da es ihn gut mochte, stand dem beidseitigen Glück anscheinend nichts entgegen.
Wer aber an der Sache keinen Gefallen fand, waren die jungen Burschen in Brienz. Die Aussicht, ein schönes Mädchen, zudem eine ganze Alp und prächtige Güter an einen Auswärtigen abtreten zu müssen, liess ihrem Neid und ihrer Bosheit keine Ruhe. Kam der Ringgenberger, wie’s Brauch, ins Dorf zum Schatz zu Besuch, hei, sprangen sie, ihm mit Knütteln aufzupassen und versprachen, ihn windelweich zu prügeln, wenn sie ihn erwischen sollten. Dem Mädchen füllten sie die Ohren mit neidischem Geschwätz, liessen keine Gelegenheit vorüber, ohne den Versuch gemacht zu haben, die Beiden auseinander zu bringen.
Just das Gegenteil erreichten sie. Das beständige Kritteln und Drohen band das Paar nur noch fester zusammen, so fest, dass auch der hinterste junge Schnaufer daran nicht mehr zu zweifeln brauchte, selbst Schlegel und Weggen würden die Beiden nicht mehr auseinander bringen.
Da kam in Brienz ein Tanzsonntag heran. Das Jungvolk zog zur Linde nahe der Kirche. Die Geiger fiedelten was die Saiten hielten, Mädchen und Burschen tanzten und sangen und lachten in den blauen Tag hinein, als gälte es auf lange Zeit hinaus fröhlich zu sein. Da betrat auch der Ringgenberger den Tanzplatz und lud sein Mädchen zum Tanzen ein. Das laute Getue verstummte fast plötzlich, stattdessen übertönten zweideutige Zurufe das Gefiedel. Das Mädchen, Gefahr ahnend, bedeutete dem Burschen zu fliehen, der schüttelte aber nur trotzig den Kopf, „grad z’Leid nicht, und wenn’s doch einmal geprügelt sein muss, will ich auch dabei sein“. Sagte es und wurde im nächsten Augenblick von vielen derben Fäusten vom Mädchen weggerissen, über den Platz gezerrt und nebenaus in den Stauden derart traktiert, dass er nimmer aufstand. Die Geiger packten ein, der Tag war bös zu Ende gegangen.
Kein Brienzer sollte sich der Tat je freuen können. Das Mädchen betrauerte seinen Liebsten manches Jahr, wies jeden Burschen aus dem Dorfe trotzig ab und wandte, als die Zeit gekommen war, sein Herz wieder einem Ringgenberger zu, diesmal einem armen Burschen mit dem Namen Grossmann. Durch diese Heirat kam die Alp Tschingelfeld samt den Gütern Brau und Winkelmatten als Weibergut nach Ringgenberg. Als in späteren Zeitläuften Alp und Güter den Besitzer wechselten geschah dies jeweils unter dem Vorbehalt, dass der Tschingelfelder beim Alpaufzug und bei unzeitigen Schneefällen das Vieh für drei Tage ohne Entgelt entweder in die Winkelmatten oder auf die Brau treiben durfte. Diese Dienstbarkeit wurde erst in jüngster Zeit von den betroffenen Eigentümern für schweres Geld zurückgekauft. Die Untat der jungen Burschen, hat sich durch Jahrhunderte hindurch gerächt.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch