Bei den Horelauenen lebte einst eine arme Familie.
Die Mutter hatte daheim genug zu tun, aber der Vater sass mehr in der Wirtschaft, als dass er in seiner Hofschaft zum Rechten gesehen hätte.
Früher hatten in seinem Stalle glatte Kühe gestanden, die er von seinem seligen Vater geerbt, später einige Ziegen, und seit kurzer Zeit hatte er auch diese verkauft und mit dem Erlös die ungeduldigsten Gläubiger für eine Weile beruhigt.
Den Rest goss er in der Wirtsstube den Hals hinunter, und als er nun eines Abends spät aus dem Dörflein den Horelauenen entgegenschwankte, zog er, beim Burgbühlhubel angelangt, den leeren Säckel aus der leeren Tasche, klaubte in allen Nähten und Verstecken seines Rockes herum; aber Geld konnte er keines finden.
Er klagte und fluchte und brummte. Er gäbe seine Seele um Geld, murmelte er, steckte den Beutel wieder in die Tasche und wollte weitergehen.
Da sah er hinter dem Burgbühlhubel einen vornehmen Herrn daherschreiten, mit hohen Beinen, gelbem Gesicht und grünem Jägerhut, auf dem ein lustiges Federlein tanzte. Er redete den armen Schlucker an und versprach ihm zwei Säcke Gold, falls er in die Bedingung einwillige, ihm dasjenige abzutreten, was sich in seinem Stalle befände.
Da der Bauer wusste, dass er auch das letzte Zicklein hatte verkaufen müssen, schlug er ohne weiteres ein, wofür er sogleich einen großen Sack voller Goldstücke bekam, und schlenderte zufrieden seiner Hütte zu.
Glückstrahlend trat er in die Stube, wo seine Kinder schrien und allerlei Tollheiten verübten, fragte nach der Mutter und bekam zur Antwort, sie sei eben in den Stall gegangen, um nachzuschauen, ob die Hühner dort seien. Er erschrak, ging hinaus und fand zu seiner grössten Betrübnis die Frau wirklich im Stall, doch ohne Hühner.
Er sprach kein Wort, warf das Geld hin und legte sich schlafen.
Nach sieben Tagen starb die Mutter unerwartet.
In der Nacht kam ihr Leichnam fort.
Aber am andern Morgen fand der Vater vor der Türe einen großen Sack voller Goldstücke, und darauf lag ein Brief, in dem geschrieben stand:
„Ich habe eine, und du hast zwon;
Nun haben wir beide unsern Lohn."
Quelle: Georg Küffer, Lenker Sagen. Frauenfeld 1916. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch