Vor urdenklichen Zeiten war es, da die Gegend von Brienz von wildem Gestrüpp und düsterem Wald bestanden war, aus denen einzig wilde Tiere zum See an die Tränke liefen, und in welche es vorübergehend wohl einmal einen Jäger von den bewohnten Höhen herab verschlug.
Damals stand nämlich am Berg, auf der Sonnenseite am Ausgang eines wilden Tales, ein Kupplein Häuschen inmitten grüner Wiesen und nahe am Bach, der hier rauschend aus dem Tale brach. Das Kupplein Häuser hiess, wie heute, die Husstatt, und ihre Bewohner sollen sich noch fleissig mit der rauhen Jagd beschäftigt haben.
Einst war ein Husstatter aus irgendeinem Grunde mit den Nachbarn in Unchritz gekommen und dachte daran, irgendwo anders seine Wohnstätte aufzuschlagen. Seinem Wunsche kam eines Tages der Zufall zu Hilfe, als er vorn auf der hohen Fluh, die jetzt die Mühlebachfluh heisst, am Holzen war. Da erschaute er im dunklen Wald im Tale drunten, und nicht weit vom Wasser des Sees, einen hellen grünen Fleck. Was konnte es sein, ein zahmes Eckchen Erde in der Wildnis, ein Ort, an dem sich weitab von den verfeindeten Nachbarn besser leben liesse?
Wunsch und Erschautes trieben den Mann am morgigen Tag in die Niederung. Und siehe da, der helle Fleck war eine prächtige Wiese, ein grasreiches Stück Land inmitten des Waldes, grad recht, darin eine neue Wohnstätte aufzuschlagen und weitab von verfeindeten Nachbarn zu sein. Und so wurde der Husstatter der erste Ansiedler des nachmaligen Dorfes Brienz, und zwar an jenem Orte im Aenderdorf, der noch heute „die Wies“ heisst.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch