Der fremde Geigera

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Alte Kunde weiss zu berichten von nächtlichen Zusammenkünften des Jungvolkes zu Spiel und Tanz an abgelegenen Orten. Da aber der Teufel dabei gar oft die Hand im Spiele hatte, wurde dieser Brauch von der hohen Obrigkeit nicht mehr geduldet und mit Verbot belegt.

Ein solcher Tanzplatz lag einst neben dem Giessbach auf einer hohen, in den Brienzersee vorspringenden Fluh. In einer sternklaren Samstagnacht tummelten sich auf dem ebenen Grasboden Mädchen und Burschen im Tanz. Über den umstehenden Tannen stand der Vollmond und liess sein fahles Licht leise über das dunkle Kries auf die fröhliche Gesellschaft gleiten. Auf einem umgeworfenen Baumstamm hinter einer Haselstaude spielten die Musikanten auf, weiche wehmütige Weisen. Der Tanz ging im Kreise herum. Bald reichten sich die Tanzenden die Hände zur Kette, bald hoppsten sie paarweise dahin, wechselten Schritt oder drehten sich bedächtig um sich selbst. Wenn die Geiger aber einmal schneller in die Saiten griffen, dann sprang ein flinkes Mädchen auf einen flachen Stein in der Mitte des Kreises, zwirbelte darauf einige Male unter fröhlichem Juheien herum und schlüpfte dann zu seinem Tänzer zurück.

Bald ging es gegen Mitternacht. Da gesellte sich zu den Musikanten ein fremder, hagerer Mann, der ein gar lustiges grünes Hütlein mit einer Feder auf dem Kopfe trug, und ein Geiglein spielte, ein Geiglein - oh, so lieblich schmeichelte sich sein Ton in die Ohren der Tänzerinnen und Tänzer, und es war plötzlich, als ob ihre Körper und Glieder schmieg- und biegsam würden wie Weidenruten!

Allmählich aber wurden die Takte des Geigleins rascher und rascher, die Weisen wilder und wilder. Huii, wie da die Röcke flogen, huii, wie das wirbelte und zwirbelte, ringelum, ringelum, wie in der Trülle! Und wie die Gesichter heiss und rot wurden im wilden Taumel! Und immer wieder und immer rascher säbelte der fremde Geiger seine Musik herunter, die wilden, ins Blut stechenden fremden Weisen…

Mit einem Male brach die Musik in einem schrillen Misston ab. Im selben Augenblicke durchgellte ein grässlicher Aufschrei die Nacht, der allen durch Mark und Bein drang, und unten an der Fluh im Wasser erfolgte ein heftiger Platsch. Die Leute rannten durcheinander, drängten an den Rand des Felsens - es gab nichts mehr zu sehen als mondbeleuchtete Wellenkreise, die im offenen Wasser verliefen. Ein Bursche und ein Mädchen, das schönste Paar der Gegend, waren wie toll über die Fluh hinaus in den See getanzt und elendiglich ertrunken. So nahm das heimliche Vergnügen ein trauriges Ende.

Der fremde Geiger aber wär plötzlich wieder verschwunden, so geheimnisvoll wie er gekommen.

Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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