Der Sigrist Hänsli lag eines Abends längst auf dem Laubsack, konnte aber nicht einschlafen. Durch das Chämetenfensterlein schien ihm der volle Mond ins Gesicht und breitete einen fahlen Schein aus über die rot und weiss gehäuselte Bettdecke. Wenn Hänsli sich auf die linke Seite drehte, konnte er durch das Fensterlein hinüber an den Kirchturm sehen, der, ebenfalls ins Mondlicht getaucht, sich hell aus den dunklen Tannen des Kirchhügels heraushob.
Dem Hänsli war, als hätte er heute eine Pflicht versäumt, nur wusste er nicht welche. Während des Feierabendläutens wohl, da entsann er sich ihrer noch; da war aber am Glockenseil ein Trom gerissen, und diesen Schaden galt es vorweg auszubessern. Und dann kam ihm das andere aus dem Sinn, er wusst’ nicht wie.
Als pflichtbewussten Mann warfen ihn die Zweifel im Bette hin und her, her und hin, bis es ihm den Schweiss austrieb. Dann aber dröhlte er sich ab dem Laubsack, zog sich an und stieg zur Kirche hinauf.
Soeben schlug es vom Turme die zwölfte Stunde. Wimmernd flohen die Töne über das nachtschlafende Dorf. Auf dem nahen See lag ein leises, bleiches Schimmern. Drüberhin stand der Aenderberg schwarz und schweigend im eigenen Schatten, während das Faulhorn mit der Mittagswand hoch und fern wieder im fahlen Mondlicht leuchtete.
An Gräberreihen vorbei erreichte Hänsli die Kirchentüre. War es nicht, als brümmelte jemand in der Nähe? Schnell reckte er nach der Falle, zog die Tür und wollte eintreten, als er zum Spalt hinein zu seinem Schrecken die Kirche bis auf das letzte Plätzchen mit geisterhaften Gestalten besetzt sah.
Der Hänsli war aber kein beherzter Mann, der es gewagt hätte, an der Versammlung der Geister seinen Gwunder zu stillen. Bleich und krank vor Angst stürfelte er den Kirchhügel hinunter, heimzu, und legte sich schlotternd wieder auf den Laubsack, von dem er dann wochenlang nicht mehr losgekommen ist.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch