Unter dem gewaltigen Schuttkegel des Lammbaches liegt ein einst blühendes Dorf begraben. Sein Reichtum an Häusern, fruchtbaren Äckern und Feldern war dem des nachbarlichen Kirchdorfes Brienz weit überlegen, wie es auch als wichtiger Platz für den Warenumschlag aus dem Unterland nach dem Brünig und der Grimsel galt. Zur Zeit der Entstehung der Eidgenossenschaft trafen sich auf diesem Platze mehrmals die Unterhändler der Berner mit denen der Waldstätte zu wichtigen Tagungen.
An einem schönen Sommersonntag vor vielen hundert Jahren stieg ein Älpler von der Alp Giebelegg auf der Westseite des Brienzer Rothorns in das Dorf Kienholz hinunter und berichtete den Leuten, sie möchten sich vorsehen, auf der Alp sei nicht alles wie es sein sollte. Seit Tagen flögen schwarze Vögel um die Hütten und machten ein gar wüstes Geschreie, um das Gräblein des Alpbächleins spalte sich der Boden und das Bächlein führe keinen Tropfen Wasser mehr.
Gegen Abend dann hob in den Höhen ein dumpfes Tosen an und eine grosse graue Wolke stieg zum blauen Himmel auf. Wer noch vermochte, lief im Kienholz aus den Häusern. Zwischen den beiden Alpen Giebelegg und Gummen wankte der Berg mit Felsen, Weid und Wald, krachte mit ungeheurer Wucht und Raschheit auf das Tal zu, überbrochselte die Felder und Wiesen von Schwanden, brach das Schloss Kien, das untenher neben einer niedern Felsenwand auf einer Anhöhe stand, wälzte Schlamm und Steine haushoch über das Dorf Kienholz, dass kein Hagstecken und keine Schindel mehr zu sehen waren, ausser ein paar Häuserresten, die ein Stoss in den Brienzersee hinausgeschwemmt hatte.
Nichts war mehr zu sehen von einem schönen Dorf, nichts von wohlgepflegten Gärten, Wiesen und Äckern. Eine breite Schlamm- und Steinwüste nur zog sich vom Berge her hinunter in den See, dessen Wasser weit und breit braun und trübe wurde für lange Zeit.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch