Es war in den siebenziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Da kehrte eines Tages zur Mittagszeit der dreizehnjährige Bub einer Schnitzlerfamilie aus der Schule heim. Als er das Hofstettli neben dem väterlichen Hause betrat, traf ein gar seltsamer, feiner Vogelgesang sein Ohr, und er blieb lauschend stehen. Das Vöglein sang so schön, so schön.
Das musste die Mutter auch hören, eh ja! Er lief zu ihr in die Küche: „Mutter, Mutter, komm! Oh, wie singt im Hofstettli ein Vögelein! So schön, so wunderschön!“
Aber die Mutter hatte gerade das Mittagessen über und durfte sich nicht versäumen lassen. Sie hätte jetzt nicht Zeit zuzuhören wie die Vögel pfeifen.
Also lief der Bub weiter zum Vater, der in der Laube obenher der Wohnstube an einer kleinen Tiergruppe schnitzelte.
„Oh, Ätti, hör doch wie das Vöglein singt, eh, singt das jetzt schön, so wunderschön!“
Der Ätti tat seinem Buben den Gefallen, und beide gingen in die Hofstatt hinunter. Da stand der Bub, lauschte und bekam vor Aufregung heisse Wangen.
„Hörst du's Ätti, hörst du’s?“
Nein, der Ätti hörte es nicht; ein Schildvogel pfiff oben auf der Dachfirst sein ganz gewöhnliches: „Ziid, Ziid, Ziid, cheust-mi nid fahn.“ Aber um dem Buben die Freude nicht zu verderben, tat er dergleichen, er höre den wundersamen Vogelsang auch. In Wirklichkeit war er tief erschrocken. Mit rechten Dingen konnte so etwas ja doch nicht zu und her gehen.
Ein paar Tage später wurde der Bub fieberkrank, ach, so krank! Alles doktern half nichts mehr, nach zweimal vierundzwanzig Stunden hauchte er sein junges Leben aus.
Quelle: Albert Streich, Brienzer Sagen, Interlaken 1938.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch