Nahe beim Dorfe Bellikon ist eine Höhle, von der sich das Volk noch jetzt vielerlei Vorgänge erzählt. Man hütet sich überhaupt, jenen Platz zu betreten wegen des Gelärmes, das man in seiner Nachbarschaft häufig hört; gleichwohl weiss man, dass der Eingang zum Geklüfte alle Morgen sauber gekehrt ist, ohne dass jemals eine Fussspur dort in Staub und Gras sichtbar gewesen wäre.
In der Tiefe steht eine goldgefüllte Truhe, und eine weiss gekleidete Frauengestalt bietet vom Schrankdeckel herab den Schlüssel. Ohne einen Laut muss man bis zur Hinterwand hinschreiten, das Weib vom Kasten heben und auf die Erde stellen, ihr den Schlüssel abnehmen, aufschliessen, um sich so viel des Goldes daraus zu nehmen, als man will; hierauf sorgfältig wieder verschliessen, das Weib auf die Truhe zurück heben und ihr den Schlüssel wieder wie vor einhändigen.
Mehrere Männer, die dies zu tun versucht, sind schlimm dabei weggekommen. Der letzte Waghals hatte schon eine grosse Summe in seinen Zwilchsack gefüllt und schien mit allem fertig. Er wollte nun der Jungfrau nur noch den Schlüssel wieder in die Hand geben; da habe sie denselben mit seinem ganzen Gewichte ihm auf die Nase fallen lassen. Es tat ihm so weh, dass er unwillkürlich einen Fluch ausstiess. Augenblicks war er aus der Höhle geworfen und fand sich in eine Dornenwildnis versetzt, die sein Auge noch nie zuvor gesehen hatte. Nach langer Zeit erst und sehr gealtert kam er wieder in sein Haus zurück.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 249
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch