Der Volksmund sagt: «Jäger werden selten reich.» Einmal ist einer reich geworden; der Jäger Heymen von Eisten. Dieser blieb wochenlang in den Bergen, schlief in Felsenhöhlen, ass hartes Roggenbrot und würzigen Geisskäs und stillte den Durst wo die Vögel trinken. Nach der Jagdzeit brachte er seine Beute heim an Fleisch und Fellen, seine Vorräte für den Winter. Es war eben noch die Zeit, wo alle Berge voll Wild waren, die Gemsen in Herden herumgingen und die Murmeltiere bis zu den Wohnungen der Menschen herabstiegen.
Einmal kam der Jäger früher als gewöhnlich heim, hängte die Büchse an die Wand und sagte zu ihr: «Diesmal kannst du länger schlafen als die Murmeltiere.» Der Jäger Heymen ist von diesem Tage an nie mehr auf die Jagd gegangen. Er hat ein schönes Gut gekauft und ist der reichste Mann im Tal geworden. Er konnte sieben frühe und sieben späte Kühe wintern und hatte für diese Bergrechte auf den Alpen. Reichtum bringt auch zu Ehren. Der frühere Jäger wurde Meier der Talschaft Lötschen. Viele hätten gerne den Grund seines Reichtums wissen mögen. Lächelnd sagte er ihnen: «Macht es wie ich, und ihr könnt auch reich werden.» Endlich hat er einem Freund das Geheimnis verraten. Er sagte ihm: «Gewöhnlich bin ich aufgestanden, wenn noch die Sterne am Himmel funkelten. Einmal, als ich bei Sonnenaufgang auf den Grat kam, flogen zwei feurige Drachen vom Elwerück gegen die Rothörner, wo sie an goldenen Felsen leckten. Ich habe mir den Ort gemerkt, wo die Drachen aufgeflogen sind und dort das Drachennest gefunden. In diesem lagen goldene Kugeln. Die hab ich mitgenommen und bin so reich geworden.» Mancher Jäger hat seither das Drachennest gesucht, aber keiner hat es je gefunden. Wer früh genug auf den Grat steige, sehe noch immer die feurigen Drachen an goldenen Felsen lecken.
Quelle: J. Siegen, Sagen aus dem Lötschental, Erweiterte Ausgabe der Gletschermärchen (1905), Lausanne 1979.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.