Früher hatten die Talleute von Lötschen viel Rebland in dem Gebiet zwischen Varen und Siders. Noch heute gibt es Lötscher Familien, die in Miège Weinberge ihr Eigen nennen und selbst bebauen. In Clarey bei Siders heisst heute noch ein Haus «das Lötscher Gemeindehaus», das früher den Weinbauern aus dem Lötschental gehörte. Es ist ein altes Holzhaus mit einem Steinturm. In der geräumigen Küche haben die Winzer Käs gebraten und den neuen Wein getrunken. Der Wein ist aber nicht alle Jahre geraten. Wer hatte die Schuld daran? Ein alter Weinbauerwusste Aufschluss zu geben.
In Gorin, etwa eine Stunde unterhalb Siders, lebten zwei alte Schwestern. Sie waren etwas misstrauisch und wechselten oft ihre Dienstleute. Einmal stellten sie einen Knecht aus dem Oberwallis an, den sie für einfältig hielten, der sich aber als gescheit genug erweisen sollte. Dem Dienstboten fiel auf, dass die zwei Meisterinnen am Abend solange aufblieben. Es wunderte ihn, was sie zu tun hätten. Eines Abends lauschte er an ihrer Türe. Da hörte er, wie eine zur andern sagte: «Wollen wir heute Nacht das Ober- oder das Unterwallis gefrieren lassen?» Sie entschieden sich für das Oberwallis und stellten einen Holzkübel voll Wasser vor die Türe gegen Aufgang. Das gefiel dem Knecht nicht, denn er war ja auch ein Oberwalliser und schüttete den Wein nicht in die Schuhe. Sobald er nichts mehr hörte, schlich der Knecht barfuss hinaus, nahm den Holzkübel, öffnete leise die Türe und stellte das Wasser unter das Bett seiner Meisterinnen.
Am andern Morgen wollten sich diese nicht rühren. Sorgfältig öffnete er die Stubentüre, und was sah er? Aus dem Kübel stieg ein mächtiger Eisklotz, der das Bett bis an die Decke gehoben hatte, wo die zwei Hexen steinhart angefroren waren.
Quelle: J. Siegen, Sagen aus dem Lötschental, Erweiterte Ausgabe der Gletschermärchen (1905), Lausanne 1979.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.