Auch der untere Teil des Tales hat sich seither viel verändert. Wo heute das Geröll der Wilerra sich weit ausdehnt, waren damals fruchtbare Wiesen, die zwei Schwestern gehörten. Diese hatten die fromme Gewohnheit, beim ersten Feierabendläuten die Arbeit einzustellen, mochte sie noch so sehr drängen. Hatten sie eine Heuburdin geladen, so zogen sie das Seil zurück und liessen sie über den Festtag liegen. Einmal nun hatte ihr Knecht, der es besser wissen wollte, schon drei Wische geladen, als es von der Kirche des heiligen Martin Feierabend läutete. «Diese nehme ich mit», meinte er. In der folgenden Nacht hat der Wi-lerbach das schöne Gut verwüstet.
«Bis ich nächstes Mal wiederkomme, wird sich noch vieles ändern, denn ich muss nochmals kommen. Bis dahin werden die weissen Schnecken das Blattendorf untergraben, der hangende Gletscher wird das Wilerdorf in den Bahn tragen, Kippel ist auf Schwarzerlen gebaut und wird von der Lonza fortgespült, und Ferden wird von dem Golnbach in die Kreschärra geschlagen werden. Dann wird das Tal der Leukerrun Rossalpe, bis der Lange Gletscher von der Luägla nach Gampel schaut. Weiss Gott, wo dann eure Gebeine ruhen werden, wenn die meinigen noch herumirren auf der sterbenden Erde. Weiss Gott, wie viele Jahrhunderte bis dahin noch verrauschen. Die Zeit geht schnell, schneller als man meint. Die Gletscher rücken wieder vor, die schwarzen Kirschen reifen nicht mehr in eurem Tale, die obersten Wälder wachsen nicht mehr auf, die Äcker werden zu Wiesen gelassen, und aus den höchsten Sitzen haben sich die Menschen schon zurückgezogen.
«Wenn ich nächstes Mal wiederkomme, wird euer Tal das Wüsttal heissen.»
«Jetzt muss ich fort, jeder Tag trifft mich an einem andern Ort, bis der Herr erscheint. Herr, komme bald.»
Quelle: J. Siegen, Sagen aus dem Lötschental, Erweiterte Ausgabe der Gletschermärchen (1905), Lausanne 1979.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.