In einem sametbraun gebrannten Häuslein auf der Wangfuhre in Wengen wohnte einst ein altes Ehepaar. Die Frau besorgte die Haushaltung und wob fleissig Leinen für Bettzeug und Wäsche. Der Mann betreute Grund und Boden wie den kleinen Viehstand mit Liebe und Umsicht. Sie lebten in Glück und Zufriedenheit, und mit den Nachbarn auf dem Bühl hatten sie nie ein Widerwort. Zur Zeit der langen Nächte, wenn der winterliche Schneegux um die Ecken pfiff, kamen die vom Bühl oft herunter zum Abendsitz. Die Frauen spannen, und die Männer lagen dem Tubaken ob, das auch bei ihnen aus jungem Hochmut zu alter Gewohnheit geworden.
Eines Abends öffnete der von der Wangfuhre das Stubenfenster, um seine Pfeife auszuklopfen. Auf einmal sah er oben am Hag einen Mann mit einem glühenden Marchstein auf einer Achsel. Er erkannte ihn deutlich; es war der Bauer, von dem er seinerzeit Häuslein und Fuhre erstanden, und der schon vor Jahr und Tag drunten im Grund beim Kirchlein sechs Fuss tief lag. Der alte Wangfuhrner vergass, sein Pfeiflein auszuklopfen und wurde so weiss wie ein Tischlaken, als er hörte, wie der ihm zurief, er solle heraus und mit ihm kommen. Der alte Mann aber fürchtete sich schier, zu einem Toten hinauszugehen. Dann fragte er erst den seltsamen Steinträger, was das alles zu bedeuten habe. Nun bekam er vom Geist den Bescheid, dass er bei Lebzeiten falsch gemarchet habe. Jetzt bat dieser den Bauern, er solle um des lieben Herrgotts und seiner eigenen Seligkeit willen mit ihm kommen und ihm helfen, den Marchstein setzen. Weil der Wangfuhrner sich noch immer fürchtete, rief der Unselige ihm zu, er solle nur guten Mutes kommen, es werde ihm auch nicht ein Haar gekrümmt. Er müsse ein Lichtlein nehmen, sich kleiden, wie es sich für einen Mann geziemt, der eine ernste Handlung vorzunehmen gedenke. Beileibe aber dürfe er ihm nicht das letzte Wort lassen, wenn sie von einander.
Der alte Bauer liess die verdutzten Nachbarn und seine Frau, die von allem nichts gemerkt hatten, in der Stube sitzen und ging wortlos hinaus. Oben am Hag fragte ihn der Steinträger: "Wo soll ich ihn setzen?" — "Setz ihn da, wo er hingehört, an den richtigen Ort!" Darauf liess er die brennende Last fallen, eine halbe Elle diesseits des Hages, und sie setzten ihn miteinander. Dann suchten sie noch einen andern Stein, schlugen ihn in zwei ungefähr gleich grosse Teile, so, dass man sehen konnte, dass sie ein Stück gewesen und setzten diese als untrügliche Gültigkeitszeugen beidseitig neben den Marchstein.
Wie das ernste Werk getan, sagte der Verstorbene, jetzt sei er erlöst, und ein Dutzend Vergeltsgott und Dankheigist sprangen über seine Lippen. Damit fuhr er mit einem Male durch die Luft aus gen Himmel und dankte in einem fort. Der Wangfuhrenbauer entgegnete ihm: "Dafür brauchst du nicht zu danken." Noch von weit, weit aus der Luft oben klangen die Worte an sein Ohr, aber immer ferner und schwächer. Er liess ihm nicht das letzte Wort und rief ihm in den nachtschwarzen Himmel hinauf nach: "Dafür brauchst du nicht zu danken, dafür brauchst du nicht zu danken!" Als er wieder in die Stube trat, verabschiedeten sich die Nachbarn. Der Wangfuhrner aber setzte sich fröstelnd in die Ofenecke und wagte es nicht, sich zu Bett zu legen, denn es schien ihm, er höre den Erlösten noch in einem fort danken hoch oben aus den Lüften, und er bleibe ihm das letzte Wort schuldig. Bis gegen Morgen hin brummelte er schläfrig aus der Ofenecke: "Dafür brauchst du nicht zu danken, dafür brauchst du nicht zu danken!"
Er hatte aber die Mahnung, sich zu kleiden, wie es sich für einen Mann gezieme, der eine ernste Handlung vorzunehmen gedenke, nicht beachtet, war gedankenlos, gegen guten Brauch verstossend in der Zittelkappe hinausgegangen. Seither ertrug er nur noch diese Kopfbedeckung.
Der Bauer an der Wangfuhre und der auf dem Bühl, die taten einander wegen der verschobenen March nichts zuwider und zuleid. Sie versetzten den Hag an den richtigen Ort und lebten weiter in Frieden und Eintracht.
Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.