Die hoch gelegene Alp Busen am Hang des Tschingelgrates stand nie in besonders gutem Rufe, es hiess von ihr:
Busen syg en schlächti Alp,
Aes Sygi halbs den Schafen.
D’r Senn, das syg en fuula Latz,
Aer tüeji halbs Zyt schlafen!
Einmal gehörte sie einem bösen Weib aus Stechelberg, das schon zum drittenmal Witfrau geworden. Das war etwa in aller Leute Mäuler, dass sie den ersten Mann vom Himmel, den zweiten von der Erde und den dritten vom Teufel erhalten und sie alle drei unter den Boden geärgert habe.
Es war schon öfters vorgekommen, dass im Herbst, am Morgen der Alpabfahrt, der Senn eine Leiche lag. Das wurde bald überall bekannt; lange Jahre wollte niemand mehr da oben alpen. Es kam bald so weit, dass die Weiden nutzlose Wildnis geworden wären. Da erschien einst ein munterer, junger Bursche aus einer andern Talschaft beim bösen Weib und trug ihm seine Dienste an. Alle wohlgemeinten Mahnungen der Leute gingen bei ihm auf wie Rauch und Schall. Sein Entschluss war gefasst, und bald hatte er auf Busen zu Alp gedinget. Frohen Mutes trieben er und der Hüterbube die Herde zu Berg. Die Atzung war diesen Sommer reich, kein einziges Haupt erfiel, und alles Vieh gedieh besonders gut, weil Senn und Bube die Tiere liebreich behandelten.
Zu rasch vergingen die Wochen des Schönwettersommers, und im Handumdrehen war der Vorabend der Talfahrt da. Ob all den vielen Vorbereitungen hatten Senn und Hüterbube späten Feierabend und keine Zeit, schlimmen Gedanken nachzuhängen. Da der Älpler wusste, wie es etlichen seiner Vorgänger ergangen, nahm er einen derben, zähen Tannastknebel mit sich hinauf auf das Gelieger; denn er fürchtete sich weder vor Tod noch Hölle und war bereit, wenn es Notsach war, selbst dem Teufel in den Bart zu greifen.
Richtig — in der bösen Mittnachtstund weckte ihn ein grässliches Zischen und Fauchen. Zwischen Schindeln und Rundbalken zwängte sich eine kohlschwarze Katze, um ein Mehrfaches grösser als eine gewöhnliche. Sie knurrte und schaute den jungen Sennen mit glühenden Augen an. Der behielt alle seine Sinne beisammen, ergriff den Knebel: "Bist eine ächte, so ist es schier besser, du stellst dich auf die Seite, bist eine andere, so wart, ich will dir grad gleichwohl einen Tätsch geben!" Als das schwarze Untier ihm mit den Vordertatzen nach dem Hals greifen wollte, da traf er es solchermassen mit dem Tannast, dass man die Knochen knacken hörte. Es jaulte und miaute laut auf, und dann verschwand es.
Als ob nichts geschehen, fuhren Älpler und Hüterbub in der taufrischen Frühe mit dem Vieh zu Tal. Wie staunte aber der junge Mann, als seine Meisterin drunten im Grund, wie die Leute sagten, seit letzter Nacht mit gebrochenen Gliedern auf dem Laubsack lag!
Die Stridelhexe hatte jeweilen die Sennen in der Nacht vor der Talfahrt umgebracht, um keinen Sommerlohn entrichten zu müssen. Sie blieb Bettliegerin bis an ihr böses Ende.
Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.