Der Ruhlose im Mondschein

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Es war in der Talschaft eine Alp mit zwei Stafeln. In allen Berghütten ringsum munkelte man, dass da früher etwas zu Unrecht gegangen sei mit der March.

Der obere Stafel lag hoch über dem Holzwuchs, und wenn die Älpler im Sommer mit dem Vieh hinauf fuhren, mussten die Knechte das Holz vom untern in den obern räfen. In der Weghälfte hatten sie einen bequemen Lüüwiplatz.

Einmal kam ein ausnehmend heisser Sommer ins Land. Da wurden die Knechte einig, sie wollten in der Nacht Holz tragen gehen beim Mondschein. ln einer Hochsommernacht schien die ganze Alp in glashellem Silberglanz. Auf Fels und Grat, Wald und Weid lagen tintenschwarz die Schatten. Totenstille weit und breit, nur die Brunnenzube hörte man plätschern bis hinauf auf die Lüüwi. Eben stellten die Knechte ihre schweren, knarrenden Bürden ab. Da zerbrach jäh ein schauerlicher Ruf vom untern Stafel her die drückende Stille der heiterhellen Nacht.

"Hie geid d’March, un da geid d’March, un dert geid d’March!" tönte es aus dem Schatten des Hohbergwaldrandes herauf. Dann gab es eine Pause, während welcher der Rufer wohl weiter schritt; jetzt hallte es wieder, und die Flühe gaben es weiter: "Hie geid d’March, un da geid d'March, un dert geid d’March!"

Den hörten sie nun immer rufen im Mondschein. Bald sass in den Knechten schwarz und kalt die Furcht; sie wagten es kaum mehr, in stillen, hellen Nächten vor die Hütte zu treten.

Der Senn, dem die Alp gehörte, hatte fortan Mühe, selbst um hohen Sommerlohn, Knechte zu dingen. Sie wellten ihm schon nach den ersten Vollmondnächten alle auf und davon. Da blieb ihm eben nichts übrig als die zu nehmen, die er noch auftreiben konnte. Einmal musste er auch einen dingen, den er sonst jedenfalls nicht genommen, weil er ein vorlautes Grossmaul und ein allen Leuten verleideter Praschalleri war.

Da gingen die Knechte wieder einmal in einer lauen Sommernacht Holz tragen. Mit einem schweren Schnauf stellten sie auf der Lüüwi die Bürden ab, die sie auf dem stotzigen Kratzweg mit List und Geduld so gerückt und gedrückt, wie es der Rücken lieb hat. Sie machten ein Pfeifchen Tabak ein, wie es der Brauch ist. Auf einmal hörten sie den Ruhelosen wieder so schreckeli rufen: "Hie geid d'March, un da geid d'March, un dert geid d'March!"

Ohne Besinnen, und ohne dass ihn die andern hindern konnten, rief ihm der grobhölzerne Knecht durch die hohle Hand in den tiefem Stafel hinunter: "Su steck Zillteni, (Marchstecken) du Tonnder!"

Jetzt fürchteten sich die andern Knechte schauderhaft und kriegten mit dem Grobian; sie nahmen ihre Räfbürden flugs wieder auf und stiegen damit bergauf, gewiss schier rascher als sie mochten und warfen das Holz vor der obern Hütte zuhauf. Dann hinein unter Dach; sie meinten, er sei ihnen noch immer auf den Fersen, der da unten.

Nachdem sie dem Schweiger (Senn) ihr Erlebnis berichtet, tröstete der sie, das habe man hier oben schon so lange gehört, so lange er zu Berg gefahren sei. Wenn nicht etwa sich einer erfrecht habe, dem Ruhelosen das böse Maul anzuhängen, so mache das nichts. Dann wurde es Morgen, und alles blieb still.

Darauf ging der Senn nach dem Käsen in den untern Stafel, um die Hütte zum baldigen Bezug instand zu stellen. Zu seinem grenzenlosen Erstaunen sah er, dass in der Nähe der Marchen Dutzende von Zilltenen standen. Und als er näher zusah, war an jedem das Brandmal einer glühenden Hand. Da fiel ihm ein, es könnte auf der Alp eine Änderung zum Schlimmen geben, weil der groblochte Knecht ihm ungeziemend gemault, dem unselig Ruhelosen. Dann stieg der Senn hastig ins Oberläger und berichtete den Knechten, was er gesehen. Er befahl ihnen, Beile zu nehmen und mit ihm hinunter zu gehen.

Hier versetzten sie den Schreithag (Hag mit gespreizt aufeinander liegenden Staketen) fein säuberlich dorthin, wo die vielen Zillteni mit dem Brandmal standen.

Der Senn, der je und je ein gerader Mann gewesen, sagte den Knechten, er begehre kein Land, das nicht zu Recht erworben. Und von da an hörte man den schauerlichen Ruf auf der Alp nicht mehr.

Es blieb in den sommerlichen Mondscheinnächten alles still.

Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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