Der alte Sauser

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Lange Jahre ging der alte Sauser auf den Alpen des Seitentales um. Wo er hinkam, trieb er sein Unwesen und richtete Schaden an. Hand in Hand mit ihm stieg der Viehtod auf die Höhen. Jeden Sommer, wenn die mächtige Herde der grössten Alp im Tal von Flöschwald, Alpiglen und den Sausmatten hinauf in den Oberberg zügelte, bekamen die schönsten Stücke den Viertel (Rauschbrand) und wurden abgängig.

Nach gründlichem Rat aller sieben Alpzeuge kam man überein, durch einen Kapuziner Abhilfe schaffen zu lassen und dem alten Sauser ein für allemal sein Hexenhandwerk zu legen.

In der dritten Nachmittagstunde des dritten Tages Heumonat begann jener in der Steinhütte in Alpiglen sein Werk. Er sägte sich hundertundein fingerlange arvige Rundholztütscheni zurecht und bohrte ein Loch darein. In jedes steckte er ein Papier, versehen mit seltsamen Zeichen, vor allem mit dem des grossen Zauberschlüssels Höllenzwang, der alle Geister zwingt, jeder Forderung Folge zu leisten. Diese Arventütscheni legte er in alle Schwellen und Obertürler sämtlicher Hütten im ganzen Saustal ein, auch in Mäuerlein auf einigen Anhöhen, und viele vergrub er.

Als er in der Steinhütte noch an der Arbeit war, soll ein Zwölfjähriger auf der Schwelle gestanden sein und ihm zugeschaut haben. Da sagte er zu dem: "Bub, tritt mir von der Schwelle, es will einer herein, den du nicht sehen kannst!" Item, noch am gleichen Tag hat er mit dem alten Sauser an der Grenzmarch, auf der Kienegg hinten, geschwungen, aber er brachte ihn noch nicht aus der Alp hinaus. Er verbannte ihn dann in die Spryssenbalm unten an der Marchegg. Hernach empfahl er der Alpschaft noch, in den Vorsassen das Treichiwasser besser und in neue Tüüchel zu legen und den Berg nie an einem andern Tage, als an einem Dienstag oder Freitag zu besetzen.

Wie er seinen Auftrag vollendet, sagte er wahr, dass nur noch ein einziges Haupt abgängig werde, eine Zytkuh (trächtiges Rind) aus dem Besatz einer Witwe in Bönigen. Eine, fügte er bei, die müssen sie ihm geben als Lohn.

Wie der Kapuziner sagte, so traf es ein. Seither hat es keine Tiere in all den vielen Jahren auf der grossen Alp mehr geviertelt. Noch heutigen Tages, wenn in Saus ein Gehalt abgebrochen werden muss, nehmen die Zimmerleute mit Sorgfalt die Arventütscheni aus Schwelle und Obertürler und versetzen sie in die neuen.

Die Spryssenbalm aber, wo der alte Sauser noch hausen soll, die sah seither stets aus wie frisch gewischt. Weder Geiss noch Schafli will sich hier, auch nicht bei ärgstem Sudelwetter, an den Scherm stellen.

Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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