Früher befand sich der Gottesacker der Talschaft neben dem Herrenbächlein und rings um die Kirche.
Draussen im Sandweidli war in einem Spendhaus die alte Rungga gestorben. Die Vorschrift, die Toten drei Tage im Hause aufzubahren, bevor man sie in den Schoss der Erde senke, bestand damals noch nicht. In ein Leintuch geschlagen, trug man sie in den sechs Brettern auf den Talfriedhof. Aus irgendeinem Grunde schaufelte der Sigrist am Begräbnistag das Grab des Weibleins aus dem Sandweidli nur halbwegs zu. Als er am Abend in der Kirche noch eine Besorgung zu verrichten hatte und am Grab der alten Runggen vorbeiging, hörte er aus der Erde heraus dumpfes Rufen und lautes Pochen. Er eilte zum Pfarrer und meldete ihm die schauerliche Wahrnehmung. Der schenkte ihm weder Gehör noch Glauben. Das Erlebnis drückte den Sigristen aber so schwer, dass er am gleichen Abend noch zum Kirchgemeindeoberhaupt ging und Öffnung von Grab und Sarg durchsetzte. Als man das vornahm, da lag die Alte wohl tot darin, aber auf dem Bauche und das Leintuch in einem Knäuel neben ihr.
Nach dieser grauenvollen Begebenheit bekam der Tod im Tal wieder seinen Schrecken wie zur Zeit der Pestilenz, und wo er an eine Türe pochte, da bat der Sterbende die Angehörigen, bevor sie ihn der Erde übergäben, sich ja zu vergewissern, ob seine Seele den Leib auch wirklich verlassen. Viele liessen sich beim Antritt der Reise in die Ewigkeit die Schlagadern öffnen, aus Angst, es könnte ihnen ergehen wie der armen, alten Runggen aus dem Sandweidli.
Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.