Als der Eisstrom vor tausend und abertausend Jahren den Taltrog von Lauterbrunnen hobelte, da wurde auch die Chorbalm aus dem harten Kalk gewaschen und gescheuert. Hinten in der finstern Höhle führen enge Windungen steil nach oben in den geheimnisvollen Leib des Berges, es weiss niemand wie weit. Aber viele wissen, dass tief im Innern eine Ader aus glänzendem Golde sein soll. Ein Mann aus dem vordem Grund wollte die reiche Ader ausgraben, bohrte und sprengte, tage- und wochenlang, aber fand nicht soviel, was Schwarzes unter dem Nagel. Jeder Eckensteher wollte ihn darum narren. Man hielt ihm vor, was er da finde, das könne man füglich die Lütschine hinaus in den See schicken. Pootz — Million — da biss er ihnen in den Stecken, denn er hoffte seit Jahren ohn Unterlass im Geheimen auf ein grosses Glück.
Von ennet dem Brünig liess er einen Goldschmecker kommen und befragte ihn, wie weit im Berge drinnen die Ader liege. Der Schmecker kam mit einer Gabelrute von einem wilden Haselstrauch, einem glatten Jahresschössling bei Vollmond geschnitten und die Spitzen mit Eisen beschlagen, denn zur Auffindung von Gold ist das unerlässlich. Er nahm die beiden Zinken der Gabel in Kammgriff lose in die Hände. Die Spitze der Goldwünschelrute waagrecht bergwärts gerichtet, schritt er bedächtig und langsam mit dem Lauterbrunner in die Chorbalm ein. Am hintern Ende sahen sie im Schein des Öltägels, (Öllicht) dass die Spitze der Rute nicht nach unten wippte, wohl aber nach dem Innern des Berges. Der Rutengänger machte ein Gesicht, als ob er Essig schlucke, und als der Schatzgräber ihn fragte, wie weit drinnen das lautere Gold wohl noch liege, da schüttelte er im Dämmerschein des Öllichtes den Kopf, hielt die rechte Hand ans Ohr und sagte ernst: "Jetzt zieht der Sigrist weit drüben in Habkern am Strang der Totenglocke, sie tragen eben wieder einen durch das Dorf. So wenig, so wenig der Teufel ein Kreuzträger ist, findest du hier Gold; das ist so weit im finstern Schoss des Berges drin, so weit der Habkernsigrist zu dieser Stund von uns!"
Der Goldgräber liess vor Schreck den flackernden Tägel fallen, und wie sie wieder draussen vor der Balm standen, da giftelte er ihn an: "Du Hexentopfgucker— du mit allen Wassern gewaschener Besserwisser, das glaub ich dir beim Kreuzerhagel nicht! Wenn du durch alle Wände gucken kannst, so sage mir, was macht meine Alte daheim — just zur Stund?" A.. aber — den Goldschmecker, den bekam er nicht ins Garn. Der besann sich nicht eines Augenblickes Länge: "Euer Eheweib, das zieht jetzt grad ein frisches Hemd an."
Darauf ging der Mann nach Hause zu seinem Weib, um dem Fremden darzutun, dass Lügen kurze Beine haben. Wie staunte er aber, als es ihm bestätigte, dass es zur besagten Zeit wirklich sein Hemd gewechselt habe!
Nach diesem bösen Bericht ging der enttäuschte Goldsucher flugs wieder hinein in die Höhle, holte all sein Werkzeug, gab sein nutzloses Tun auf und zahlte die Kosten.
Heute steckt die funkelnde Ader noch immer drinnen, weit hinter der hintersten Wand der Chorbalm, mitten im Herzen der Berge.
Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.