Der verhexte Stier

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf einer schönen Alp am Talend draussen hatte man eines Sommers einen riesigen Stier. Er war, wie üblich, beim Stalleingang der erste in der langen Reihe des Rindviehs. Wie die meisten Alpstiere, bekam er im Alter auch seine Faxen in den harten Grind, und es wäre ihm sicher eingefallen, einen Unbefugten, der sich ihm im Stall genähert hätte, mit seinem gewaltigen Körper an der Wand zu erdrücken.

Eines Abends, es war ganz hinten drin im Herbstmonat, waren der Käser und der Küher, die ein Alpzeug allein unterhänds hatten, in der Hütte. Alle Arbeit war getan. Das hohle Sausen des Bergwindes schwoll bald zu fauchenden Sturmstössen an. Das Vieh, vom Muni bis zum jüngsten Kalb, war wohl versorgt und stand in Reih und Glied angebunden an der Barni. Mit einem Mal, es finsterte schon unter Tisch und Bänken, klopfte es dreimal wuchtig an die Hüttenwand. Der Käser schaute zum Tagliecht hinaus, keine Seele weit und breit. Dann war es wieder, als klopfe einer an der Hüttenecke Schneeschollen von den Schuhen, und nun schien es, als ob jemand die Tür zöge. Aber im Stall war alles ruhig, nur das Tryssen wiederkauender Kühe hörte man ab und zu. Und jetzt — jetzt jauchzte einer in den Flühen ob der Hütte. Das war keine Täuschung, denn sie hörten es beide in einer schreckhaft stillen Atempause des Hohbergsturmes so klar wie die eigene Stimme. Es war zwar kein richtiges Jauchzen, man konnte nicht sagen, war das eine Weiber- oder Männerstimme. Ein Rechter hatte keine solchen Töne, es war schon eher ein Geräägg.

Am andern Morgen war ein ordentlicher Fetzen Schnee, und im Stall fehlte der grosse Muni. Die Seilschlaufe hing vom Barniloch auf die Brügi, war aber fest zugeknotet Die Älpler suchten ihn rings um die Hütte und hörten ihn schliesslich im leeren Zustall lüejen; (zufriedenes Stiergruchsen) die Tür dazu war nagelfest geschlossen, genau wie der Käser sie auf seinem abendlichen Wachtgang angetroffen. Der grosse Muni stand allein in einer Ecke des Zustalles mitten in einem Bündel rösten Bergheus und liess es sich munden. Die Älpler zerbrachen sich über dem Geschehnis nicht die Köpfe; sie wussten, dass gestern Abend im Sturm ein Unrechter umging, der bei Lebzeiten an der Alp etwas verfehlt. Der hatte scheint’s zum rumpelsurrigen Muni hinzugehen dürfen, und nur sein Teufelswerk konnte diesen verhexen und von einem Stall in den andern rücken.

An den folgenden Tagen aber nahm die leide Schneefüehri ihren Fortgang; in allen Hütten war kein Halm Heu mehr, und den Berg musste man, unter grossen Mühen, vorzeitig lösen. Die Anteilhaber kamen um zehn Tage Alpgewinn und die Älpler aller Zeuge um den fröhlichen Zittelabend. (letzter Abend auf der Alp)

Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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