Die Schiltalp oder der Schilt an der Morgenseite des Schilthorns, eine grosse Mulde, wohl geborgen und eingebettet zwischen Wasenegg und Schiltgrat, gehörte einst zwei Töchtern aus dem Niederland. Der Schilt ist wohl klein, aber liegt im Biswindschatten, ist wasserreich, hilb und steht im Ertrag der mälchsten Bergschaft der Gegend nicht nach.
Wer hier alpete, dessen Gewerb war wohl versorgt, denn zum Schilt gehörten damals als Schneeweide die lägen Halden unten am Mürrenweg zwischen Staubbach und Sagigraben, von denen heute viel überwaldet ist. Fiel im Vorsommer oder Herbst in den Höhen unzeitiger Schnee, so zügelte man eben in die tief gelegene Schneeweide und war nie genötigt, gänzlich zu Tal zu fahren.
Die hablichen Töchter aus dem Unterland lernten sommerüber zwei Brüder aus Gimmelwald kennen, die merkten, dass es da Honigwaben auf die Seite zu legen gab und die Schwestern an sich zu helben wussten.
Schon im ersten Sommer nach der Heirat wurden die beiden Brüder uneins. Der ältere, ein umsichtiger und erfahrener Mann, war der Meinung, dass man die so zahme Alp mit Kühen besetzen sollte. Der jüngere, der hatte ein Haupt — ein Haupt — so hart und eckig wie ein Zügstuhlgrind. Dieser wusste es durchzudrücken, dass der Schilt nur mit Galtvieh bestossen wurde. Als im Herbst die Jungtiere sauber und wohlgenährt aussahen, dass sie völlig geschienen hatten, da lief dem Einsichtigen die Galle über, wenn er daran dachte, was für einen Abnutz man mit Kühen erzielt hätte.
Auch im zweiten Sommer setzte der engstirnige Querkopf aus lauter Trotz seinen Willen durch; der andere war wieder viel zu hinlässig und wusste ihm nicht die Stange zu halten. Und im dritten Sommer, da wollte der eine Hüst, der andere Hott, der eine Wein, der andere Most; statt dass sie oben im guten bachdurchrauschten Schilt einen Herrenlebtag führten, hatten sie und ihre Frauen einen Schönwettersommer lang in ihren beiden Hütten ein Hundeleben. Wie sollte das erst kommen, wenn sie wieder drunten in Gimmelwald in ihrem väterlichen, zwiefalten Hause Wand an Wand nebeneinander wohnten!
Dem älteren, dem stieg der Ekel weidensauer in die Kehle; er konnte es nicht mehr ertragen und erhängte sich oben in den "Guglen" an einem spitzen Felszahn.
Als der andere, der verworrene Tubelgrind, am Schilt weiter alpete, da lag auf diesem kein Segen mehr. Von nun an hatte es Sommer für Sommer die schönsten Rinder geviertelt, (Rauschbrand bekommen) und der jüngere ging dann, wie der ältere Bruder, auch kinderlos und elend ab der Welt. Die beiden guten Witfrauen schenkten später den schönen Schilt der armen Berggemeinde, und noch heutigen Tages ist er Bäuertrecht von Gimmelwald.
Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.