Vor Zeiten, als der Landvogt noch im Tale herrschte, hauste hier der Guggi, ein abgefeimter Haudridau. Wem er auf Weg und Steg begegnete, den guckte er unverschämt und lange an, deshalb nannte ihn Gross und Klein den Guggi. Mit dem Landvogt draussen in Interlaken hatte er das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Er war diebisch wie die Elster; was ihm gefiel, das nahm er mit. Sozusagen Jahr um Jahr musste er vor der hohen Obrigkeit erscheinen, und die sperrte ihn wegen seiner Schelmereien eine Zeitlang ein. Kehrte er wieder ins Tal zurück, dann meinte er, es habe ihm draussen im Schloss gar nicht schlecht gefallen, Speis und Trank, Ruh und Wärme habe er umsonst gehabt.
Er war ein durchtriebener Galgenstrick, entwischte mehrmals aus der Kefi und berichtete seinen Talgenossen, wenn man vor dem Landvogt lüge, bis man selber glaube es sei wahr, dann komme man sicher zu seinem Recht. Und eine Lüge, die hatte der Guggi gewiss eher im Kopf als ein Pfarrer die Predigt. Als sie ihn einmal nach einem Ausbruch wieder eingefangen hatten, da guckte er dem Landvogt frech ins Gesicht und sagte spitz: "Ich weiss nun wirklich nicht mehr, wie ich es machen soll, denn schlüpf ich ein, so ist es nicht gut, schlüpf ich aus, so ist es auch nicht gut, jetzt ratet mir einmal!"
Eines Tages wanderte der arme Tunichtgut den Holperweg talaus. Auf der Gündlischwandbrücke begegnete er dem Landvogt, der auf einem Esel ritt. Guggi schaute bald den Landvogt, bald den Esel verwundert an. Schliesslich sagte der Landvogt: "Guggi, hast noch nie einen Esel gesehen?"
Der Schelm darauf: "Wohl schier, aber zwei aufeinander sind mir mein Lebtag nie vor Augen gekommen." Dann schüttelte er die Fäcken (Rockschösse).
Wie er das nächste Mal wieder eingefangen wurde, liess ihm die erboste hohe Obrigkeit auf lange Zeit andere Hosen anziehen. Aber der Guggi schlüpfte wieder aus und erschlug auf der Flucht einen von des Landvogts Häschern.
Er flüchtete sich hinein ins Tal, und die Leute sagten, er hause heimlich in der Chorbalmhöhle ob dem Gassenweidli. Der Landvogt vernahm von dem Gerede und sandte seine Knechte an einem Sommermorgen früh hinein zur Höhle. Der Guggi in der Chorbalm drinnen hörte des Landvogts Schergen durch die Guferhalden (Geröllhalden) herauf zum Fuss der Fluh trappen. Er zog sich in den hintersten Winkel zurück, und von hier ragelte er noch hoch hinauf in die finstern, feuchten Windungen, die das rinnende Gletscherwasser einst in den Stein gehöhlt, vor vielen und vielen Jahren.
Wie des Landvogts Lanzknechte unter der weiten Balm im trockenen Steinstaub vor der Höhle standen — siehe — da hatte eine Spinne den ganzen runden Eingang verwoben mit feinen, taufeuchten Fäden in die Kreuz und in die Quer.
Guggi, dem sie nach dem armseligen Leben trachteten, der hörte ihr Werweissen. Bald kamen die Knechte überein, hinter dem zarten, unberührten Gewebe könne doch nie und nimmer jemand verborgen sein; sie suchten nicht weiter, und dem unwerten Mannli, dem hatte die emsige Spinne am Morgen nicht Kummer und nicht Sorgen gebracht, aber ihm das Leben gerettet.
Nach diesem Sommertage verschwand der Obdachlose aus der Gegend, keine Menschenseele hat ihn je wieder gesehen.
Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.