Zur Seite des Kirchweges, der von Titterten nach Reigoldswil führt, erhebt sich die Burgruine von Reifenstein auf einem zackigen, beinahe einzeln stehenden Fels an der Ausmündung eines Seitentälchens ins große, schöne Reigoldswilertal. Die hohe Lage dieses Gemäuers und die waldige Bekleidung des Felsens, den es krönt, gibt ihm ein höchst romantisches Ansehen. Von dem Erbauer der Burg und ihren späteren Bewohnern hat man nur wenig Kunde. Dagegen verbreitet sich dunkles Sagengewebe unter den Umwohnern über diese Trümmer. Wenn das Wetter ändern will, sieht man Fräulein und Ritter in feurigen sechsspännigen Wagen daraus einherziehen. Am Karfreitag sonnet sich eine ganze Gesellschaft, köstlich gekleideter Herren und Frauen in uralter Tracht und legt viereckige Goldstücke auf mächtigen Tüchern an das Tageslicht. In den Revolutionsjahren machte ein Schatzgräber den Bauern der Umgegend nach den hier verborgenen ungeheuren Schätzen den Mund wässerig. Es war allbekannt, dass dieselben zwei verwünschte Edelfräulein von Reifenstein schon viele Jahrhunderte hüteten. Bald ertönte in stiller Mitternacht auf den Trümmern der alten Burg das allmächtige, Höll' und Teufel zwingende Christofelgebet, unterbrochen von dem Klange grabender Schaufeln. Bald stieß man auf etwas Hartes. Da rief einer der Bauern in der Freude seines Herzens aus: „Potz Hagel! Da hämmert's!“ Dem Geisterbanner blieb ein Drittel des Christofelgebetes im Halse stecken; er stampfte unwillig mit dem Fuße und schrie: „Nei, du Kaib! Jetzt hämmert's nüd!“, und damit zog er – statt der erklecklichen Schätze – ein Paar eiserne Pfannenstiele und Topffüße aus der Grube.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.