Unweit Moosburg und Friedrichshafen liegen auf dem Grunde des Bodensees die Trümmer einer Burg, die Wasserburg genannt. Dass diese Burg samt der Insel, auf der sie stand, in die Tiefe des Sees versank, war der Fluch einer bösen Tat der Freiherren von Güttingen, deren Stammsitz Schloss Moosburg war. Grauenvoll lautet die Sage:
Zur Zeit als die Freiherren von Güttingen noch jene Gegend beherrschten, kam eine große Hungersnot über das Land; was an Lebensmitteln vorhanden, war aufgezehrt, nur auf dem Schlosse der Freiherren von Güttingen, deren Speicher reichlich gefüllt waren, lebte man unbarmherzig mit dem Jammer der Andern noch in Saus und Braus. Da endlich als die Not nicht mehr zu ertragen, lief das Volk in Scharen zusammen und flehte die reichen Herren um einige Hände Korn, das elende Leben zu fristen, aber alles Flehen der Armen war umsonst. Hierüber empört rafften sie ihre letzten Kräfte zusammen und wollten mit Gewalt nehmen, was ihren Bitten versagt war. Was aber konnte das entkräftete hungermatte Volk gegen die wohlgenährten Knechte der Freiherren von Güttingen. Bald musste es der Gewalt weichen und ein großer Teil von ihnen ward gefangen auf Schloss Moosburg eingebracht, von dessen mitleidslosen Herren, die über die letzte verzweifelte Tat der Unglücklichen noch mehr ergrimmt, jetzt der Befehl erging, die Gefangenen in eine Scheuer zu sperren und diese darauf in Brand zu stecken. Als nun die Flammen über den armen Menschen zusammenschlugen und ihr Jammergeschrei mehr und mehr erstickte, da riefen die hartherzigen Freiherren mit teuflischem Hohn: „Ah, die Kornmäuslein haben bald ausgepfiffen!“ Kaum aber waren diese Worte über ihre Lippen, so fing es von unzähligen schwarzen Punkten in dem Brand drin an zu wimmeln, immer schwärzer und schwärzer ward die Glut, daraus endlich tausend und aber tausend Ratten und Mäuse hervorbrachen, welche mit spitzen Zähnen und Krallen wütend über die Unmenschen herfielen. Da flüchteten sich diese nach der ihnen zugehörenden Wasserburg auf einer Insel in dem See, hoffend dort dem Strafgericht Gottes zu entgehen. Aber auch hierher drangen ihnen die Peiniger nach, von dem schrecklichen Schicksal, bei lebendigem Leibe aufgefressen zu werden, konnte sie nichts erretten. Burg und Insel aber, von da an der Wohnsitz jener Tiere, wurden in kurzer Zeit so zernagt, dass sie bald nach dem Tode ihrer Herren in den See versanken.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch