An einem uralten Zürcher Landhause nimmt man auf dem Dache einen aufgerichteten Ziegel wahr, von dem die Volkssage erzählt, der jedesmalige Inhaber des Hauses dürfe diesen Ziegel durchaus nie zurecht legen, und dies um eines Geistes willen, der durch diese Dachöffnung in ein Zimmer hinunter steige, welches damit in Verbindung steht. Dieser Geist soll ein früherer Bewohner dieses Zimmers gewesen sein und sich auch jetzt noch als solchen betrachten.
Um Mitternacht erscheint er in blutigem aschgrauem Gewande und einem Antlitz von gleicher Farbe; denn ein begangener Mord lässt ihm keine Ruhe im Grabe. Aber er verhält sich ganz still und stört den Schlaf des jetzigen Bewohners nicht, wenn dieser nicht sonst wach ist. Man hört nichts von ihm als ein leises Seufzen.
Einmal fiel dem Hausbesitzer ein, den Ziegel einzulegen und in dem bezeichneten Zimmer das Benehmen des Geistes abzuwarten. Aber um die zwölfte Stunde erhebt sich auf dem Dache ein gräuliches Gepolter; Ziegel rasseln, Scheiben klirren und unter Windesbrausen stieg das Gespenst in die Kammer. Flammen sprühten aus seinen Augen; er fasste das Bett samt dem zitternden Patron, der drin lag, zog es aus der Bettstelle, warf es auf den Boden und zerrte es dort herum. Der Geisterseher fiel in Ohnmacht; als er aus derselben erwachte, hätte er den ganzen Spuk für einen schweren Traum gehalten, wenn er nicht mit den Beinen auf dem Leibstuhl, mit dem Kopf auf dem Boden gelegen hätte und die Bettstücke nicht zerstreut herumgelegen und mit schwarzen Mälern ausgestattet gewesen wären.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.