Der Chriemhildengraben

Land: Schweiz
Region: Konaueramt
Kategorie: Sage

Ein fahrender Schüler, der in Salamanca die Zauberei erlernt hatte, kam einst auf seinen Fahrten durch die Welt, die er mit Hülfe des Teufels unternahm, auch an den Türlersee. Zu dieser Zeit wohnte dort eine Frau Namens Chriemhild, welche sehr schön, dabei aber auch sehr bös und neidischen Gemütes war. Ihr Hass und Neid war aber besonders gegen ihre Nachbarsleute gerichtet, deren Felder und Wiesen sich immer bei weitem fruchtbarer zeigten als ihre eigenen. Da nun das schändliche Weib schon längst gewünscht hatte, einmal ihre Bosheit an dem Gut ihrer Nachbarn auszulassen, so kam ihr die Ankunft des fahrenden Schülers, durch dessen Kunst sie Wiesen und Felder derselben wo möglich noch unfruchtbarer, als die ihrigen, zu machen hoffte, eben recht. Dieser, in sündiger Liebe zu dem schönen Weibe entbrannt, willigte auch alsbald in das böse Verlangen ein und machte sich eines Nachts daran, einen grossen Graben zu ziehen, vermittelst welchem er das Wasser aus dem Türlersee auf die Wiesen und Felder jener Nachbarn leiten wollte, um sie so zu überschwemmen und ihren warmen, fruchtbaren Boden in kalten, nassen Moorgrund zu verwandeln. Bald wäre auch das boshafte Werk gelungen, nur noch wenige Spatenstiche fehlten und das Wasser wäre in den Graben eingebrochen, da kam aber von ungefähr ein frommer Pilgrim des Wegs daher, der das Schändliche des Unternehmens sofort erkannte und den fahrenden Schüler samt dem bösen Weibe mit der Kraft seines heiligen Willens auf den Glärnisch verbannte, wo beide verdammt sind auf dem Mittlern, mit ewigem Eis bedeckten Gebirgsstock einen Garten anzulegen; erst wenn dieser Garten, den das Volk das Vreneligärtli oder den St. Verenagarten nennt – jener Pilger soll nämlich die heilige Verena gewesen sein – vollendet ist, wird die Erlösung der Beiden erfolgen. Das wird aber wohl niemals geschehen, eben so wenig als den Verdammten bei Lebzeiten die Vollendung des Grabens gelang, der von dem bösen Weibe noch heut den Namen „Chriemhildengraben" führt.

(Anm.: auf der Landkarte findet man am Ende der südwestlichen Bucht des Türlersees den Häxengraben.)

C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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