Priester zum Hexentanz entführt

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Zu den Zeiten Maximilians des Ersten lebte in den rhätischen Alpen ein gar frommer und gottesfürchtiger Priester. Der wurde eines Abends gerufen, einem fernwohnenden Kranken die Wegzehrung zu bringen; damit er nun um so schneller den Weg zurücklegen möchte, schloss er die Hostie in ein Büchschen, hing das an den Hals und bestieg ein Pferd, welches einen guten Trab ging.

Als er so ein Streckchen geritten war, da kam ihm Einer entgegen, der lud ihn ein, von dem Pferde zu steigen und ein Schauspiel zu schauen, wunderbarer, als je etwas gewesen wäre. Der Priester war unklug und neugierig genug, der Einladung zu folgen, und stieg vom Pferde, doch in selbigem Augenblicke fühlte er sich mit dem Andern in die Luft gehoben und daher getragen bis auf die Spitze eines hohen Berges.

Da sah er eine große und anmutige Ebene, beschattet von schönem Baumwerk und umgürtet mit starrenden Felsen; in der Mitte derselben tanzten unzählige Reihen, spielte man Spiele aller Art und standen mit den ausgesuchtesten Speisen beladene Tische; liebliche Gesänge tönten dazu und kurzum es war da Alles, was nur eines Menschen Herz erfreuen konnte. Der Priester stand noch ganz stumm darob, als der Geleitsmann wieder zu ihm trat und ihn fragte, ob er nicht der Königin seine Verehrung und ein Geschenk darbringen wolle? Die Königin nämlich saß auf einem hohen und prächtigen Thron und war schön und wohlgebildet über die Maßen. Alle nahten ihr nach der Reihe, warfen sich vor ihr nieder und reichten ihr ein Geschenk. Der Priester dachte bei sich, das könne Niemand anders sein als Christi Mutter, die benedeite Jungfrau Maria, und der könne er kein lieberes Geschenk bringen, als ihres lieben Sohnes heiligen Leib. Als nun die Reihe an ihm war, da trat auch er gar demütig vor ihren Thron und legte ihr das Büchslein mit den Hostien auf ihren Schoß, aber in demselben Augenblick verschwand sie mit den andern Allen und den Priester umgab dickes Dunkel.

Er rief Gottes Hülfe um Beistand an und suchte sich mit vieler Mühe einen Weg durch Wälder und Büsche und fand nach langem Wandern einen Hirten, von dem er erfuhr, dass er über hundert Meilen von dem Orte entfernt sei, wohin er die heilige Wegzehrung hätte bringen sollen.

C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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