Im Kanton Uri, nicht weit von Andermatt steht ein weißer Steinblock. An der Stelle, wo derselbe liegt, soll früher ein Haus gestanden haben, in welchem ein altes Weib gewohnet, die bloß eine Kuh als Eigentum, aber immer mehr Nidel hatte, als fünfzig der besten Kühe zur Zeit der Sommerfahrt geben; darum man sie Nidelgret nannte.
Eines Tages aber schlüpfte ein neugieriger Küher in ihren Stall und versteckte sich im Trog, um die Alte beim Melken zu belauschen. Da sah er sie, einen großen Gebs, in welchem ein kleines Krüglein Rahm, vor sich hinstellen und hörte sie, wunderliche Zeichen machend, immer vor sich hinmurmeln: „Hexengut und Sennenzoll, von jeder Kuh zwei Löffel voll!" Der Gebs füllte sich aber sofort bis an den Rand mit dem schönsten Rahm, worauf die Alte ihn auf den Rücken nahm und den Stall verließ.
Der Küher aber, der sich den Spruch wohl gemerkt hatte, lief voller Freuden nach Hause, um seine Kraft zu probieren. Mit zwei Löffeln aber nicht zufrieden, murmelte er „Hexengut und Sennenzoll, von jeder Kuh zwei Kübel voll!" Da aber floss der Rahm in solchen Strömen zu, dass sich bald Stall und Wohnung des Kühers damit füllte, so dass er gar elendiglich in demselben ersoff. Auf den Sparren des Dachs oben aber saß die Nidelgret und rief: „Der tut’s mir nimmer nach!" Kaum hatte sie jedoch dies gesagt, so kam eine dunkle Wolke mit fürchterlichem Sturmwind über das Glatt gefahren, welches die Hütte des Kühers und die ihre mit sich hinweg nahm.
An der Stelle der letzteren stand aber von dieser Zeit jener weiße Steinblock. Darin steckt sie mit des Kühers Leib, welchen sie bis zum jüngsten Tag hüten muss.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen., Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.