Auf dem Hundsrücken, welcher sich in nordöstlicher Richtung vom Rotsee, bei Luzern, bis Buchrain hinzieht, lebte einstens ein böses Weib, welches so unerträglich war, dass ihr Mann sie verliess, in den Krieg zog und auch bald in demselben von dem Tode ereilt wurde, wie er sich gewünscht hatte. Jetzt war sein böses Weib daheim wieder ledig und konnte sich nach einem andern Freier umsehen; es fand sich aber keiner, weil ein jeder ihre Bosheit kannte. Sie aber schrieb dies dem Umstand zu, dass sie zwei Mädchen aus der ersten Ehe besass. Daher beschloss sie, sich derselben zu entledigen. Einstmals im Winter, als es recht kalt war, nahm sie dieselben, unbemerkt von den Nachbarn, und führte sie weit von ihrer Wohnung hinweg tief in den Wald hinein, wo sie dieselben, trotz ihrem Beben und Weinen, unerbittlich zurückliess. Nach Hause zurückgekehrt, fragte sie erst am andern Tag scheinbar unter grosser Besorgnis, ob niemand ihre Kinder gesehen hätte? Trotzdem dass die gutmütigen Nachbarn alles zum Wiederfinden der Kinder aufboten, fand man sie doch nicht, und so mussten sie in dem Walde vor Hunger und Frost elendiglich umkommen. Erst lange Zeit hernach fand ein Holzhauer die beiden Armen fest umschlossen in einer Decke von Schnee und Eis. Ihre Mutter aber, deren böse Tat man ahnte, fand immer noch keinen Mann. Da wurde sie, als der Winter wieder ankam, wahnsinnig, lief in den Wald hinaus, in welchem sie ihre Kinder ausgesetzt hatte, rief in furchtbaren Tönen nach deren Namen und wühlte mit blutigen Fingern Eis und Schnee auf, um nach ihnen zu suchen. Dies trieb sie so lange, bis sie starb. Aber noch sieht man sie in dunklen und kalten Nächten in den Wäldern und Klüften jener Gegend herumirren; wenn aber die Zeit kommt, wo dichter Schnee die Fluren bedeckt und die Kinder der Armen in den Wald geben, um sich Reisig für eine warme Stube zusammenzusuchen, hören dieselben oftmals ganz in ihrer Nähe bald ein Stöhnen, bald ein Ächzen, bald ein jammervolles Geschrei, und unter dem Rufe: "das Nachthuri kommt!" eilen sie erschreckt nach Hause.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch