Auf der Alp Zuazo-dessus hausete ehemals vor langen Jahren gar friedsam, aber dienstfertig und gefällig, ein Berggeist, der Napfhans, Jean de la Bolieta, genannt. Auf die gefährlichsten Stellen führte das Männlein die Kühe zur Weide, ohne dass je nur eine verunglückte. Wenn die Hirten den Berg verliessen, war dort gewiss kein nährendes Gras mehr vorhanden. Für den geleisteten wichtigen Dienst stellten dann die Sennen jeden Abend dankbar einen Napf voll süsser, frischer Nidle (Rahm) auf das Dach des Stafels. Am andern Morgen fanden sie ihn richtig allemal leer. Es begab sich aber einst, dass ein Senn mit sieben eigenen Kühen auf diesen Berg zog. Zum ersten Male in seinem Leben befand er sich da, und hielt das Hirtenamt des Geistes für ein einfältig Märlein, von der Unwissenheit und Leichtgläubigkeit ersonnen. Er entschloss sich daher den Geist zu prüfen und zu foppen; anstatt des gewürzigen Rahmes tat er siedenden Unrat in die Schüssel. Um Mitternacht hörten die schnarchenden Sennen eine dumpfe, hohle Stimme, die vom Rauchfange herunter zu kommen schien, und den ungläubigen Küher ermahnte, eilig aufzustehn, um seinen sieben Kühen die Häute abzuziehen. Er achtete nicht darauf, glaubte, man treibe nur Scherz mit ihm und schlief ruhig wieder ein. Aber wie gross war seine Bestürzung, als er am andern Morgen seine Kühe vermisste, und sie endlich jämmerlich zerrissen, sämtlich tot in einer tiefen Schlucht fand, die jetzt noch der Schindanger (in Le corzau) heisst.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch