In den Ruinen der beiden im Jahr 1350 durch die Berner, Thuner und Frutiger auf ihrem Streifzug ins obere Simmental, nebst Laubegg, niedergebrannten Burgen Mannenberg, liegen grosse Schätze verborgen, welche durch die Burggeister so lange gehütet werden, bis jemand zu guter Stunde kommt und ein Unterpfand liefert, das aber niemand kennt, so dass ungeachtet mancher Versuche der Schatz nicht gehoben werden konnte, den doch die in grosser Pein schmachtenden Geister der Burgherren gern abgeben möchten.
Ein alter wohlberichteter Schulmeister kam eines Abends, in der Mitternachtsstunde, in Begleitung eines Geisterbeschwörers zur unteren Burg Mannenberg. Der Wundermann begann zwei Mal vergebens seine Beschwörung, erst beim dritten vernahm man aus der Tiefe des Burgverliesses eine dumpf tönende Stimme. "Wie heissest du?" war die Frage des Beschwörers.
"Hans von Schlenggwyl, edlen Stammes aus Oesterreich."
"Hast du Geld, so du hütest?"
"Ja, aber nicht für dich!"
"Wem gehört denn dieses Geld?"
"Dem Haus Oesterreich."
"Was ist für ein Unterpfand oder Lösemittel? Ist es eine Katze, ein Bock?"
"Du weisst nun, was nötig ist, lass mich in Ruh!"
Damit nicht zufrieden, fing der Beschwörer seine Arbeit aufs neue an, indem er auf der Mauer des Burgverliesses auf der Seite des Felsens gegen der in tiefem Grunde fliessenden Simme neben dem Schulmeister stand.
Aber statt Antwort erdröhnte die Burg, und mit Gerassel und fürchterlichem Geheul stieg aus der Tiefe des Verlieses ein schrecklich gestaltetes Ungetüm und packte den Beschwörer und schleuderte ihn weit über die Felswand hinaus in den schauerlichen Abgrund - sein weißer Leinwandkittel bezeichnete als ein langer Strich durch die Luft seine Abfahrt. Er verlor sich in der Tiefe - niemand hat nachher etwas von ihm weder gehört noch gesehen.
Der Schulmeister fand seinem Heil angemessen, auf einer anderen Seite die Flucht zu ergreifen, und nachher an keine ferneren Versuche zur Schatzhebung zu denken, so lockend auch manchmal noch der Geistergesang auf Mannenberg durch die Lüfte säuselte, wie ihn die Landleute der Umgebung oft vernommen haben wollen.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch