Zu einem Mädchen aus Twann trat, als es einst unfern der Schlossfluh am Bielersee auf einer Wiese heuete, ein Fremdling, schön und prächtig angetan, von dem sich die sonst tugendhafte und sittsame Jungfrau so mächtig angezogen fühlte, dass sie einwilligte den Herrn in der folgenden Nacht zu einer bestimmten Stunde an einem gewissen Orte zu treffen. Als sie sich nun auch wirklich, wie verabredet, an jenem Orte einfand, ergriff sie der Unbekannte an der Hand und führte sie die steile Schlossfluh hinauf, ohne dass ihr das Steigen im mindesten beschwerlich fiel. Oben angekommen bemerkte sie im Mondenschein eine große Öffnung in dem Felsen, welche sie früherhin noch nie wahrgenommen hatte. In diese trat der Fremdling mit ihr ein und nach einigen Schritten befanden sie sich in einem grossen weiten Saale, der hell erleuchtet war und wo um eine schwarz verhängte Tafel viele bleiche und düstere Männer sassen. Einer derselben winkte der Jungfrau, näher zu treten und befahl ihr, ihren Namen in ein grosses Buch einzutragen, das aufgeschlagen auf dem Tische lag. Obschon das Mädchen nicht lesen konnte, was in dem Buche stand, so merkte es doch, dass es nichts Christliches sei. Es weigerte sich daher standhaft und beteuerte beim Blute Christi, es werde nie tun, was man verlange. Kaum hatte sie diese Beteuerung ausgesprochen, so war alles wie im Hui verschwunden und sie fand sich ihrer Kleider beraubt, nackt und allein auf der Schlossfluh.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch