Zu einer Frau, welche in dem Ruf einer erfahrenen Kindsmutter stand, kamen einstmals zwei Erdmännchen, welche sie dringend baten, doch mit ihnen zu kommen, es läge daheim eins ihrer Weibchen in Kindsnöten. Die Frau wollte anfangs nicht vor grosser Furcht, endlich gab sie aber doch ihren dringenden Bitten nach und ging mit. Ihr den Weg zeigend, eilten die Erdmännchen rasch voraus, und bald kamen sie an eine Felsenhöhle, welche sich in vielen Gängen nach allen Seiten hin unter dem Berg ausdehnte. Am Ende eines dieser Gänge war ein kleines, aber prachtvoll ausgeschmücktes Gemach, in welchem die Kindsbetterin auf einem kostbaren Bette lag. Als nun die Frau den nötigen Beistand geleistet hatte und das Kind, ein allerliebstes, kaum zwei Daumen grosses Zwerglein, geboren war, führten sie die gleichen Erdmännchen, welche sie von daheim abgerufen hatten, wieder aus der Höhle heraus. Bevor sie aber in das Freie traten, füllten sie der Frau als Lohn für ihre Mühe noch die Schürze voll mit Kohlen, welche am Eingange der Höhle in einem grossen Haufen beisammen lagen. Mochte die Frau nun denken, es sei Lohn genug für sie, so mit heiler Haut davon gekommen zu sein, oder schien ihr die Gabe doch etwas zu gering für ihre Mühe, genug und gut, sie liess auf dem Heimwege den grössten Teil der Kohlen zu Boden fallen; ja, sie hätte sogar alle weggeworfen, wenn sie nicht Furcht vor den Erdmännchen gehabt hätte, welche ihr noch aus der Höhle nachriefen: "Je mehr Du zerstreust, je mehr Du bereust!" Endlich kam sie nach Hause und warf ärgerlich den Rest der Kohlen auf den Herd; aber siehe, da waren sie eitel Gold. Schnell eilte die Frau zurück, um das Fallengelassene wieder aufzusuchen, da war aber keine Spur mehr davon vorhanden. Alles war verschwunden.
C. Kohlrusch, Schweizerisches Sagenbuch. Nach mündlichen Überlieferungen, Chroniken und anderen gedruckten und handschriftlichen Quellen, Leipzig 1854.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch