In Uri war einst ein Weib das man für eine Hexe hielt, weil sie von einer Kuh so viel Nidel (Rahm) machte als andere von zwanzig Kühen. Ein Mann, begierig das Geheimnis zu erlauschen, schlich sich einst in den Stall und sah wie die Hexe allerlei Zeichen macht, Sprüchlein brummt und das Zauberliedchen summt:
„Hei, Astaroth! flink auf und hol'
von jeder Kuh zwei Löffel voll,
als Hexengut und Sennenzoll."
Darauf schwoll der Nidel bis zum Rande des grossen Gefässes. Der Küher horchte und schlich von dannen. Als er nach Hause kam, versuchte er das gleiche, denn er hatte sich alle die Zeichen und Sprüche gemerkt. Er nimmt ein wenig Nidel in ein grosses Gefäss, und macht Zeichen und summt:
„Hei, Astaroth! flink auf und hol'
von jeder Kuh zwei Löffel voll,
als Hexengut und Sennenzoll."
Da dringt's plötzlich rauschend durch das Dach als käme die Sintflut. Der Rahm floss in Strömen herbei, immer höher und höher, so dass der arme Küher bald bis zum Kinne darin stak. Dem Ersticken nahe hörte er von oben her die Worte: „Der tut mir's nicht mehr nach!" Aber auch die Rufende sollt es nicht mehr tun; denn plötzlich entsteht ein Donnern und Blitzen, der Platz erbebt und das Haus sinkt in den Grund.
Statt seiner ragt ein weisser Block empor, ein „Ankenstock", der zu Stein geworden ist, und den man heute noch zeigt. In demselben steckt die böse Nidelgret mitsamt dem Küher. Die Gret muss ihn hüten bis zum jüngsten Tage. Oft hört man Abends im Steine ein schauerlich Gestöhn.
Theodor Vernaleken: Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.