Die Nachkommen der Edlen von Düdingen nannten sich Velga oder Velgen. Unter einem Schlosse in der Nähe von Düdingen, am steilen Felsen ob dem Gatternbache, befindet sich ein tiefer, enger Balm, den man das Fantomenloch nennt.
In dieser Höhle hausete ein ungeheurer Stollenwurm, der besonders dem Vieh vielen Schaden verursachte, es entweder bresthaft machte oder erwürgte und dann sein Blut aussog; den Menschen aber tat das Ungetüm nichts zu Leide. Man hatte schon längst alle möglichen Mittel versucht, um ihn zu töten oder zu besänftigen, aber alles umsonst. Oft wenn der Herr Velga mit einem Knechte das steile Tobel (den Hohlweg) aus dem schmalen Fusspfade in das enge Tal hinunter ging, um im Bache zu fischen, sah er vor der Höhle des Fantoms einen schwarzbraunen Klumpen, mit grünen, roten und weissen Streifen; wenn er aber näher treten wollte, so rollte sich die Schlange blitzesschnell auseinander, erhub sich bäumend, zischte und pfiff, streckte ihre spitzige Zunge aus dem ausgespreizten Rachen, der mit einer Doppelreihe schneidender Zähne versehen war, und verschwand in einem Hui wieder im feuchten Loche.
Man hat mit Pfeilen und Kugeln auf sie geschossen, grosse Steine gegen sie geschleudert, aber sie prallten stets an den glatten und dicken Schuppen ihrer zähen Haut ab. Man hat auch mehreremale versucht, dem Wurme vergiftetes Ochsenblut in einer Schüssel hinzuschieben, aber kaum berührte er es mit der Zunge, so spie er es wieder aus. Mehrere Geistliche und Weltliche, die man wegen dieser schrecklichen Plage um Rat gefragt, versicherten, es sei kein eigentlicher Stollenwurm, sondern ein als solcher verwandelter Geist, der irgend eine schwere Sünde auf dieser Welt abzubüssen habe.
Theodor Vernaleken: Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.