Der Hausgeist erlangt eine Kleidung

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im Siebenthale (dem heutigen Simmental) lebte einst ein guter, einfältiger Mann, namens Jörg. Dem hatte sein Vater ein wenig Land hinterlassen und eine Stampfmühle, Hafer oder Gerste zu stampfen. Nebenbei verdiente sich Jörg etwas durch taglohnen. Wenn er aber aussen arbeitete, so ward die Mühle nicht in gutem Gang erhalten, oder es wurde nichts aufgeschüttet oder die Mühle ward nicht zur rechten Zeit gereinigt. Jörg vermochte keinen Knecht zu halten. Darum ging eine Zeit lang der Erwerb mehr hinter sich als vor sich und Jörg hatte Lust die Stampfmühle gänzlich aufzugeben.

Da geschah es, als er eines Abends heim kam, dass er die Mühle sauber gereinigt fand, alles Gerät an seinen Ort gebracht und das Wasser abgestellt, weil die Stampfe nichts mehr zu schaffen hatte. Das gefiel Jörgen und er hätte wohl gern gewusst, wer ihm diese Gefälligkeit erwiesen. Nachbarn konnten es nicht getan haben, weil die Mühle abseits in einem Tobel lag, und das nächste Dörflein war fern. Der freundliche Dienst kehrte wieder; besonders am Samstage fand er, vom Dorfe zurückgekehrt, alles in der Ordnung, ohne die mindeste Spur von Bosheit oder Ungeschick. Das fing ihn an zu wundern, und anstatt nach wie vor seinem Tagewerk obzuliegen, begann er zu grübeln, wer wohl der unsichtbare Helfer sei. Oft kam er in der Mitte des Tages heim, um ihn zu überraschen, lag Stunden hindurch im Hinterhalte, und sah doch weder jemanden kommen noch gehen. Da schien ihm's nicht recht heimlich, und anstatt fernerhin draussen zu lauschen, verbarg er sich oben auf dem Estrich unter dem Dache, hob einen Laden in die Höhe und blieb mäuschenstill niedergelegt, um hinabzuspähen in den Mühlenraum.

Es war an einem Samstage, wo das Fegemännchen allemal zur Arbeit kam. Da ging im Fussboden der Mühle ein Brett in die Höhe. Ein Spitzkopf guckte, gleich einer Fledermaus, schüchtern aus dem Loche hervor, niesete, wie wenn die Oberluft ihm die Nase kitzelte, fuhr dann vollends in die Höhe, und es zeigte sich ein bewegliches Männchen, das, kaum drei Fuss hoch, an allen Gliederchen aber derb und gewandt, mit Behendigkeit zur Arbeit schritt. Im Nu war jedes verrichtet. Gerste, die noch vorrätig in den Säcken stund, ward hurtig eingeschüttet, die Stämpfel hämmerten rasch, das Zermalmte kam wieder in die Säcke, die Hämmer wurden gesäubert, der Stampftrog ausgefegt, alle Getriebe mit Öl gesalbt, aller Staub hinweggewischt, jeder Abgang in einen Kasten geworfen, und endlich das Wasser abgestellt durch einen Ruck an der Kurbel, welche nach aussen mit Rad oder Rinne zusammenhing.

Der einfältige Jörg wusste nichts vom Erdvölklein; er dachte keinem Menschen ein Wort zu sagen, aber von der Sache weidlich Gewinn zu ziehen. Während Jörg noch verwundert gaffte, stellte das Fegmännchen alles Geräte an seinen gehörigen Platz, hockte dann possierlich auf den Stampfertrog, wiegte das Köpflein in den Händen und summte:

„Fehlt das Kleidchen, fehlt der Kranz,

fehlen Schühlein mir zum Tanz,

rührt' ich doch mich, heissassa!

lustig in der Mühle da.“

Hui war's verschwunden, in den Boden hinab, und der Laden ging wieder in seine Fugen, so dass Jörg, als er hinabgeschlichen, ihn nicht mehr von den übrigen zu unterscheiden vermochte. Die Neugier trieb Jörgen nun oft, den lustigen Mühlknappen zu beschauen, und als dieser einst wieder aus dem Loche aufduckte, ward Jörg gewahr, dass Hütlein, Mäntelchen und Schühlein erbärmlich abgetragen waren. Er nahm sich also vor, dem Männlein neue Kleidung machen zu lasten. Diese hängt er eines Samstags in der Stampfmühle an einem niedrigen Nagel auf und meint wunder was er kluges angestellt habe. Von fern beobachtet er nun wieder, wie das Fegmännchen hervorkommt und im Hui sich an die Geschäfte macht. Alsdann gewahrt es den Putz, springt freudig in die Höhe und legt alles an. Endlich fängt es an zu Hüpfen und singt ganz laut:

„Ig nit meh Gerste stampfe ma (mag);

ig schön Chleideli ha (habe),

ig jitz tanze ga!“

Da sprang der Laden auf, das Männlein schloff in seinem saubern Putze hinab und liess die Fetzen liegen. Und seit jener Zeit hat es sich nie wieder sehen lassen.

Theodor Vernaleken: Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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