Eines Abends holte ein Mann Wein im Wirtshause für seine niedergekommene Frau. Auf dem Heimwege traf er auf Nachtleutlein; diese fragten ihn, was er da habe. „Wein für meine Frau“, antwortete er. Sie baten ihn, er möchte ihnen doch zu trinken geben; der Mann entschuldigte sich, dass er nicht genug habe ür sie alle. Diese aber drangen heftiger in ihn, mit dem Versprechen, dass für seine Frau noch sehr viel übrig bleiben werde. Da reichte er ihnen seine Flasche hin. Als er diese aber im Kreise herum gehen sah, und jedes der guten Leutlein sehr viel daraus trank, und noch viel mehr Zwerge da waren als er gemeint hatte, da ward ihm Angst und er glaubte, seine Flasche bis zum letzten Tropfen geleert wieder zu erhalten, dann müsse er gleich wieder nach dem Wirtshause gehen, um sie wieder anzufüllen. Aber es war noch viel Wein darin, als alle daraus getrunken hatten und sie ihm die Flasche zurück gaben. Sie verboten ihm aber sehr, er solle es ja weder seiner Frau noch einem andern Menschen sagen, dass sie daraus getrunken hätten. Genug, er brachte seinen noch übrigen Wein seiner Frau heim und siehe! Seine Flasche war noch voll, und lange, lange Zeit trank seine Frau von diesem Weine, und stets blieb die Flasche voll. Endlich aber gefiel diese fatale, immer volle Weinflasche der Frau nicht mehr recht; sie begann sich zu fürchten vor derselben. Sie drang in den Mann ihr zu sagen, welch Hexenwerk hinter derselben stecke. Der Mann aber suchte sie zu beschwichtigen, indem er sie auf die Größe der Flasche aufmerksam machte und sie aufforderte nur viel zu trinken, die Flasche werde dann schon leer werden. Bald aber ward die Frau voll Misstrauen und wollte keinen Tropfen mehr von diesem so gesegneten Weine.
Da entdeckte ihr der Mann das Geheimnis, da ward die Flasche leer, und je fleißiger der Mann nachher hinging seine Weinflasche füllen zu lasten, desto öfter war sie wieder geleert.
Theodor Vernaleken: Alpensagen - Volksüberlieferungen aus der Schweiz, aus Vorarlberg, Kärnten, Steiermark, Salzburg, Ober- und Niederösterreich, Wien 1858
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.