Auf dem linken Ufer des Talbaches, zwischen Helikon und Zuzgen, erhebt sich der „Häutig," ein Berg, dessen obere Höhe ein hübsches Fruchtfeld ist.
Sein nördlicher, oft sehr steiler Abhang ist ein Buchenwald von vielen Kalksteinklüften und Höhlen durchzogen, die man für Wohnungen der Erdmännchen hält; die Sage weiss nichts als Gutes von diesen Dingerchen zu erzählen.
Sie waren äusserst dienstfertig, treu, den Menschen sehr gewogen, arbeitsam bei Tag und Nacht, so dass die Bauersleute am Morgen, wenn sie das Feld wieder besuchten, die reife Ernte geschnitten und die Äcker gepflügt fanden. Ja sie sollen den Landleuten oft sogar Kuchen an den Weg oder auf die Äcker gebracht haben. Nur musste man die äusserst zierlich gemachten Messerchen und Gabeln, sowie die reinlichen Schüsseln beiseite stellen, damit sie dieselben wieder behändigen konnten.
Diese Sage war so tief in viele Gemüter gedrungen, dass vor etlichen Jahrzehnten noch eine wohlhabende Bauersfrau von Helikon, Namens Katharina, auf die Idee geraten war, in den Höhlen und unterirdischen Wohnungen der Erdmännlein müsse eine Art von Seligkeit und himmlischer Wonne herrschen. Eines Abends war die Frau verschwunden; niemand konnte sich ihr Ausbleiben erklären. Es wurden vergebens Boten nach allen Richtungen ausgeschickt. Des andern Tags kam ein Bannwart oder Waldhüter und meldete, dass er in der Buchhalde in einer der Höhlen eine menschliche Stimme gehört zu haben glaube. Jetzt erinnerte man sich, dass die verschwundene Frau oft mit grosser Vorliebe von jenen Höhlen erzählt hatte und wie es dort wunderschön zu wohnen sein müsse.
Auf jener Stelle angekommen, hörte man nach langem Rufen ein klägliches Stöhnen aus der Tiefe, und man erkannte die Stimme der Frau. Eine Menge herbeigeeilter Menschen von Helikon und Zuzgen mit Schaufeln und Pickeln fingen nun mit grosser Vorsicht zu graben an, denn man konnte ihr nur mit Hinwegräumung des Schuttes von oben beikommen. Grosse Vorsicht war nötig, um die unten Harrende nicht durch hinabrollendes Gestein vollends zu töten. Ein grosser Stein hatte sich unmittelbar über ihrem Kopfe verkeilt. In einer Tiefe von 30 Fuss traf man die Beklagenswerte; auf dem Schosse trug sie noch Feuerzeug und Lichtstock, die sie von Hause mitgenommen hatte. Sorgfältig wurde sie herausgehoben.
In der Dunkelheit der Nacht war sie hier durch eine Felsenspalte vorgedrungen, bis der Boden unter ihren Füssen wich und sie in die Schlucht hinunterrutschte. Sie war äusserst leidend und schwach und musste auf einer Bahre nach Hause getragen werden, wo sie fünf Tage nachher den Geist aufgab. Seither ist dieser Ort die Katharinenhöhle genannt worden.
Quelle: Ernst L. Rochholz, Naturmythen, Neue Schweizer Sagen, Band 3.2, Leipzig 1962
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch