Die Zwergenkuh im Chraitel

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Der Bornberg, der sich von der Stadt Aarburg bis zur Stadt Olten am linken Aarufer entlang zieht, zeigt oben in seinem klüftigen Kamme eine so grosse Höhle, dass man sie vom Tale aus weithin genau unterscheiden kann. Die heisst das Herenloch und war vormals die Wohnung der Herdmännli gewesen. Diese winzigen Männlein waren von Gestalt und Gesicht schmuck und hübsch, und mit ihren kleinen blitzenden Augen konnten sie den Leuten bis ins Herz hineinschauen.

Dazu waren sie heiteren Mutes, halfen am Lande bei aller Feldarbeit, wurden dafür auch bei keiner Sichellöse oder Flegelrecke vergessen, sondern vom Bauern zu derlei Mahlzeiten herkömmlich eingeladen, und wenn sie da bis zum Abend Alles mit ihren Kunststücken erheitert hatten, und es zum Heimgehen kam, beschenkten sie noch den Gastherrn und jeden im Hause bis ans die Dienstboten hinab besonders.

Und so war und blieb denn zwischen ihnen und den Leuten alles lieb und gut, bis die weltbekannte Neugier des Weibervolkes diese Freundschaft aufhob.

Denn da waren zwei Aarburger Mädchen, die stach ihr Wunderfilz gar zu sehr, und sie fanden alles auf der Welt begreiflich, nur allein dies eine nicht, warum doch diese guten Männlein mit ihren Mäntelchen und langen Röcken beständig die Füsse bedeckt hielten. Darum kletterten sie den Berg hinaus, fingen da an, den Felsenpfad, der vom Herenloche in den Wald aufwärts geht, mit Chrüsch (crusca, Kleie) zu bestreuen und versteckten sich dann lauernd in den nächsten Busch.

Es dauerte gar nicht lange, so kamen alle Erdmännchen zur Höhle herausgegangen, vertraut und paarweise wie Schulkinder, um miteinander zu spazieren. Aber was sahen nun die Mädchen! Nichts als lauter spindeldünne Ziegenfüsse, die trippelten und wateten in der Kleie herum, und die Mädchen mussten darüber in ein helles Gelächter ausbrechen. Dies verdross die Männlein so sehr, dass sie auf der Stelle verschwanden und hier nie wieder angetroffen worden sind. Sie gingen nun vom linken Ufer der Aare über die Oltner-Brücke auf das rechte herüber, wo jenseits des Städtchens damals noch die Geisfluh lag und in ihr ein hohler Felsen, welcher die Heidenküche hiess.

Hier meinten sie, es besser getroffen zu haben. Allein bald wurde in Folge der Eisenbahnbauten diese ganze Ackerzelge ebengelegt und zugleich der Felsen mit weggebrochen. Also mussten sich die Zwerge nun zum dritten Male eine ruhige Heimat suchen und wanderten von da weg wiederum bergan zu dem Bauernhofe Chraitel (Krähental), der am Fusse des Engelberges zwischen den zwei Heilbädern Walterswil und Lauterbach liegt.

Dieser Hof, zur Solothurner Gemeinde Rothacker gehörend, ist heute noch eine Einöde oder ein sogenannter Steckhof, nur aus zwei Häusern bestellend.

Hinter demselben liegt gegen den Wald hin ebenfalls eine Felshöhle, die abermals denselben Namen Heidenküche hat, und in dieser schlugen nun die Zwerge ihre Wohnung auf.

Sie waren auch hier anfänglich umgänglich und dienstbereit; die Art aber, wie sie sich dafür bezahlt machten, gefiel den Leuten nicht auf immer.

Sie schnitten nämlich jede Nacht einer andern Kuh des Bauern ein Stücklein Fleisch aus dem Leibe und brieten sichs.

Dies aber schadete nicht etwa dem Tiere, sondern eine solche Kuh wurde darüber immer fetter und bekam ein ganz herrlich glänzendes Fell. Nur ein kleiner Flecken in der Haut deutete die Schnittstelle an und machte sich durch das Haar bemerkbar, dessen Strich hier nach rückwärts lag. 

Aber im Stalle des jetzigen Hofbauern ist kein solch glänzendes Stück Vieh mehr zu sehen; und wer da auf diesen Unterschied zwischen einst und jetzt bescheiden anspielt, dem erwidert der Mann trocken: „schon zu seines Grossvaters Zeiten seien die Zwerge in der Heidenküche immer stiller und zurückgezogener geworden und müssten wohl längst gänzlich verschwunden sein.

 

Quelle: Ernst L. Rochholz, Naturmythen, Neue Schweizer Sagen,Band 3.2,  Leipzig 1962

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

 

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